„Ernährungstherapie bei Essstörungen kommt häufig viel zu kurz“
Du bist an einer Essstörung erkrankt und denkst Ernährungstherapeut:innen wollen dir nur etwas über gesunde Ernährung erzählen, was du doch eh schon längst weißt? Du denkst in der Ernährungstherapie geht es nur um Essprotokolle und du musst dich ab jetzt penibel an das halten, was deine Ernährungstherapeutin möchte, während die Essstörung auch noch im Hintergrund tobt?
InCogito Autorin Annabell hat eine ganz andere Erfahrung gemacht: In diesem Beitrag erfährst du, welche wichtige Rolle eine Ernährungstherapie bei deiner Essstörungs-Recovery einnehmen kann.
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Annabell: „Um was geht es in so einer Ernährungstherapiestunde bei Ihnen eigentlich? Wie kann ich mir eine Therapiestunde vorstellen? Sprechen wir erstmal Ernährungsprotokolle durch und Sie geben mir einen Ernährungsplan, an den ich mich dann halten muss?“
Frau Pabst: „Ernährungspläne mache ich persönlich gar nicht, weil mir Eigenverantwortung sehr wichtig ist. Ich arbeite zumeist begleitend mit einer App. In dieser kann man unter anderem mit Fotos digital einen Überblick gewinnen, festhalten wie die Tage essenstechnisch so liefen. Ich kann Sie da auch besser begleiten, Unsicherheiten klären oder Bilder kommentieren, die Sie mir schicken. In einer Therapiestunde bei mir bekommen Sie erstmal Richtmengen-Orientierungen, um wieder einen Bezug dazu zu bekommen, was eine „normale“ Portionsgröße ist oder welche Komponenten in jeder Mahlzeit enthalten sein sollten (Kohlenhydrate, Eiweiß, Vitamine, Fett). Zudem sprechen wir über eine regelmäßige Mahlzeitenstruktur und wie diese im Alltag passend umgesetzt werden kann. Bei der Anorexie geht es aber dennoch erstmal um eine Gewichtsnormalisierung, da im Untergewicht die Emotionen nicht so spürbar sind, was eine wichtige Grundlage für die Psychotherapie ist. Später geht’s auch um Einkaufstraining, Expositionen einbauen, gemeinsames Essen gehen und Kochen. Meistens gehe ich in folgenden drei Schritten vor: als Erstes wird die Mahlzeitenstruktur etabliert, als Zweites schauen wir uns die Richtmengen an (die Portionsgrößen und Komponenten) und erst dann gehen wir die Lebensmittelauswahl an inklusive der Flexibilisierung und Einbau von verbotenen Lebensmitteln. Das bedeutet die Richtmengen in den Alltag zu integrieren, intuitiv nach Hunger und Sättigung zu essen oder auf Gelüste zu hören.“
Wann macht Ernährungstherapie Sinn, gibt es den richtigen Zeitpunkt, um sich Hilfe zu holen?
Ernährungstherapie im Rahmen einer Essstörungserkrankung, macht bei Patient:innen fast immer Sinn. Am meisten jedoch dann, wenn Betroffene an ihrem Essverhalten etwas verändern wollen und dazu professionelle Unterstützung benötigen. Fakt ist, es gibt kein „zu früh“ um sich Hilfe zu holen. Auch für Personen, die schon über Jahre mit einer Essstörung zu kämpfen haben, kann es eine gute Anlaufstelle sein, sich für schwierige Zeiten Hilfe zu holen.
Die meisten kommen das erste Mal im teilstationären Setting mit Ernährungstherapie in Berührung. Das ist auch ein Rat, den ich jeder Patientin mitgeben würde: nach einem stationären Aufenthalt zum Step-down, in eine Tagesklinik zu wechseln. Denn im Gegensatz zum stationären Setting, wo man sich gefühlt in einer Käseglocke befindet, geht es in der Tagesklinik darum, den Tag selbst zu planen, die Struktur einzuhalten, die Mahlzeiten in einer Lehrküche und später auch zuhause selbst zuzubereiten. Sprich es geht in erster Linie darum, Eigenverantwortung wieder zu übernehmen und das Gelernte selbstständig im Alltag umzusetzen. Hierfür ist Ernährungstherapie ein elementarer Bestandteil.
Wie und wo kann ich Ernährungstherapie in Anspruch nehmen?
Wie bereits erwähnt findet Ernährungstherapie hauptsächlich im teilstationären Setting statt. Selten wird die Therapie in einem vollstationären Setting engmaschig von dem Baustein der Ernährungstherapie mitbegleitet. Ambulant erklären sich leider nur wenige Krankenkassen dazu bereit, die Kosten zu bezuschussen. Ich appelliere aber an jede einzelne Patientin sich zu überlegen, wie viel ihr die eigene Gesundheit wert ist und ob sie die Ernährungstherapie aus eigener Tasche finanzieren möchte. Ganz arg wichtig ist es allerdings, sich eine Ernährungstherapie zu suchen, die Erfahrung im Bereich Essstörungstherapie hat.
Welche Rolle spielt die Ernährungstherapie auf dem Heilungsweg von einer Essstörung aus Ihrer Perspektive?
Ich finde, dass sie eine sehr wichtige Rolle spielt, die aber oft deutlich zu kurz kommt, was man ja schon daran sieht, dass die wenigsten Krankenkassen eine Ernährungstherapie bezahlen. Generell geht es bei der Ernährungstherapie im Bereich von Essstörungen eher weniger darum, was man essen soll, um Nährwerte oder welche Lebensmittel mehr oder weniger Energie haben. Das wissen die meisten selbst ziemlich gut. Psychotherapie und Ernährungstherapie gehen so gut wie immer Hand in Hand und laufen zweigleisig ab. Daher ist mir die Zusammenarbeit mit der behandelnden Psychologin auch so wichtig. Vieles was sich eigentlich auf die Psyche bezieht – Emotionen, wie Ängste, Wut, Traurigkeit, Hilflosigkeit, Einsamkeit oder auch unerfüllte Bedürfnisse, nach Sicherheit, Kontrolle, Stabilität oder Autonomie bilden sich beim Essen ab. Dadurch findet man dann auch Themen beim Essen wieder, die da eigentlich gar nicht hingehören, die Patientin aber nicht berichten würde, weil es ihr gar nicht bewusst ist. Oft sind Patient:innen überrascht, wenn ich rein anhand Ihres Essverhaltens ziemlich sicher sagen kann, womit es ein Thema auf psychologischer Ebene geben könnte.
Warum brauchen Patient:innen die Ernährungstherapie und können nicht direkt mit der Psychotherapie starten? Sie wissen doch selbst schon so viel über Ernährung und Essen.
Das ist ganz einfach zu beantworten, weil die Patient:innen selbst so viel Fokus aufs Thema Essen legen. Damit Sie das besser verstehen, hier folgende Metapher:
Stellen Sie sich vor, Sie haben in Ihrer Wohnung ein Zimmer und da sind all die Erinnerungen, Erlebnisse, Glaubenssätze und Emotionen drinnen, die sie bisher in Ihrem Leben gesammelt haben. Sowohl Positives als auch Negatives. Anfangs war der Raum offen und es war legitim, dass jeder einen Blick reinwerfen durfte. Mit der Zeit ist das Zimmer aber immer voller geworden und dann passiert es, dass man die Tür hinter diesem Chaos schnell zumacht, um niemandem mehr einen Einblick zu gewähren. Allerdings drückt von innen das Durcheinander gegen die Tür. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Symptomatik auftritt. Damit die Tür zu bleibt, stellen Sie Stuhl für Stuhl vor die Tür, was im übertragenen Sinne die Symptome sind: Emotionsregulation. Das können nicht nur Symptome der Essstörung sein, sondern auch andere psychische Erkrankungen. Und hier komme ich mit der Ernährungstherapie ins Spiel. Zusammen mit Ihnen räume ich die Essstörungsstühle vor der Tür auf die Seite, damit Sie mit Ihrer Psychotherapeutin hinter die Tür und in den Raum schauen können, um dort aufzuräumen. Bei diesem Prozess werden uns immer wieder kleine Monsterchen in den Weg springen, die sich wehren und die ernst zu nehmen sind, weil sie uns etwas sagen wollen. Diese Monsterchen sind in dieser Geschichte, die prägnantesten Themen, die zur Entwicklung der Erkrankung beigetragen haben. Zudem kann man sich vorstellen, dass die Monsterchen sich an die Tür drücken und quasi von innen schon einen Abdruck durchdrücken, den man sieht, wenn man genau hinschaut. Aber die Patient:innen schauen sich oft nicht das Monsterchen an, sondern die Tür und reden die ganze Zeit nur von dieser, sprich dem Essen, um das es eigentlich gar nicht geht. Deshalb müssen wir uns das Essen schon anschauen, weil es da präsent ist, aber eigentlich wollen wir schauen, was bildet sich da in Form dieses Monstercherns, sprich welches Thema, ab.
Deswegen braucht es oft eine parallele Ernährungstherapie: Um in der Psychotherapie die tieferliegenden Themen zu bearbeiten. Die Genesung geht wesentlich schneller und einfacher, wenn man sich die Symptome in der Ernährungstherapie anschaut.
Was ist Essen in Ihren Augen?
Essen ist mehr als nur eine reine Nahrungszufuhr. Vielmehr ist es auch ein sozialer Wert und eine Genusskomponente. Essen sollte im Normalfall Spaß machen und mit angenehmen Gefühlen in Verbindung gebracht werden. Nehmen wir das Beispiel eines Mädels-Abend mit Cocktails. Der Cocktail führt in erster Linie Energie zu, aber er schmeckt eben auch gut und wird meist in Verbindung mit Freunden, einer tolleren Location und schönen Atmosphäre getrunken. Somit ist dieses Getränk etwas Besonderes und weckt angenehme Verknüpfungen.
Vielen Dank Frau Pabst, dass Sie sich die Zeit genommen haben und mir meine Fragen so detailliert beantworten konnten. Ich habe noch so viel mehr, was ich Sie gerne fragen möchte. Aber ich denke, dafür setzen wir uns wann anders nochmal zusammen, denn das waren schon wirklich viele Informationen.
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