Hochsensibilität – warum ich so viel mehr wahrnehme
Feinfühlig, schnell reizüberflutet, hohes Empathievermögen – findest du dich in einem der drei Eigenschaften wieder? Dann könnte dieser Artikel für dich interessant sein, denn es geht um Hochsensibilität. Vor einem Jahr fiel Annabell über genau dieses Thema ein Buch in die Hände und führte dazu, dass sie ihre Reaktionen, ihr Handeln und ihre Gedankengänge heute ein bisschen besser verstehen kann. Vielleicht bringt dir dieser Beitrag auch deinen AHA-Moment!
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Was ist Hochsensibilität überhaupt?
Hochsensibilität ist eine vererbte Veranlagung, ein Lebensgefühl, das mit einer intensiven Verarbeitung von Sinneseindrücken einhergeht, zumindest so Elaine N. Aron, eine amerikanische Psychologin, die den Begriff „Highly Sensitive Person (HSP)“ stark prägte. Im Jahr 1996 veröffentlichte Aron dazu ihr erstes Buch unter Einbezug ihrer Forschungsergebnisse und ist damit eine der Pionierinnen zum Thema Hochsensibilität. Etwa jeder Fünfte ist ihren Forschungen zur Folge „ziemlich“ oder „extrem sensibel“. Umso erstaunlicher, dass das Phänomen Hochsensibilität als solches weltweit erst seit rund 30 Jahren diskutiert wird und die Forschung dazu noch in den Kinderschuhen steckt. Elaine N. Aron führt dies darauf zurück, dass es lange mit Introversion, Schüchternheit oder gar Neurotizismus verwechselt wurde. Alles Eigenschaften, die in Folge von Hochsensibilität entstehen können, je nachdem wie hochsensible Menschen aufwachsen und welche Prägungen sie erleben.
Mir ist dabei besonders wichtig zu erwähnen, dass es sich nicht um eine Diagnose handelt, sondern viel mehr um eine Art Charakterzug. Eine besondere Anlage und Begabung für die Wahrnehmung von Feinheiten und eine deutlich gründlichere Verarbeitung von Informationen und Reizen.
Einige Merkmale für Hochsensibilität:
- Intensive Reizaufnahme, egal ob innerer oder äußerer Reize: Gerüche, Geräusche, Temperaturen, Berührungen, Schmerzempfinden oder Einfluss von bereits geringen Mengen Koffein oder Medikamenten; ein Ausflug in die Stadt an einem Samstagnachmittag empfinde ich zum Beispiel als ziemlich anstrengend oder Gesprächspartner, die in einer für sie normalen Lautstärke mit mir sprechen, ist mir zu laut, andererseits kann ich in der Natur, beim „Waldbaden“ super entspannen
- Meister:innen der Wahrnehmung und Anpassung: einerseits kann das sehr hilfreich sein, andererseits aber auch belastend, wenn man dabei seine eigenen Bedürfnisse, Grenzen und womöglich den Zugang zu sich selbst verliert, weil man so sehr versucht einer Version, die sich das Gegenüber vermeintlich wünscht, zu entsprechen.
- Intensives emotionales Erleben, hohes Einfühlungsvermögen, guter Zuhörer, „soziale Hochbegabung“: mir ist es zum Beispiel ein sehr wichtiges Anliegen, dass es meinen Mitmenschen gut geht, ich halte es kaum aus, wenn eine Freundin leidet und versuche ihr meine Hilfe anzubieten, ihr Rückhalt und Liebe zu schenken, für sie da zu sein.
- oft gewissenhaft, neigen zu Perfektionismus und möchten Fehler vermeiden
- Kunst oder Musik kann Hochsensible tief bewegen
Warum wird eine sehr sensible Wahrnehmung in der Gesellschaft oft negativ bewertet und stigmatisiert?
Hochsensibilität wird leider oft missverstanden und Hochsensible erleben von ihrer Umwelt häufig, dass Menschen, die besonders viel spüren und an Reizen wahrnehmen, zart besaitet seien, Kritik nur schlecht annehmen könnten unter Freunden oder in der Familie nicht so viel aushalten würden. Hochsensible kennen oft auch lapidare und unüberlegte Kommentare ihres Umfeldes wie: „…dass du immer alles gleich so ernst nimmst“, „Spielverderber“ „stell dich nicht so an“, „du bist immer gleich so sensibel“, „sie muss mit Samthandschuhen angefasst werden, ihr darf nicht zu viel zugemutet werden!“ „Musst du immer gleich emotional werden?“. Merkmale wie, dass ein Streit oder eine Stimmung einen noch deutlich länger darüber hinaus beschäftigt, man sich schnell mal zurückzieht, wenn einem alles etwas zu viel wird, die Sorge in der Arbeit in Folge dessen als „schwach“ oder weniger belastbar wahrgenommen zu werden, ist oft Alltag für hochsensible Menschen.
Woher kommen allerdings tatsächlich all diese negativen Assoziierungen? Hier kommen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen sind wir heutzutage eine stark auf Leistung und Erfolg getrimmte Ellenbogengesellschaft, in der der Druck sich anzupassen, zu funktionieren groß ist und diese „feinen Nuancen“ schnell mal platt getrampelt werden. Andererseits werden Gefühle leider immer noch oft als Schwäche abgewertet, welche es zu unterdrücken gilt. Hochsensibilität kann nämlich auch ein großes Potential sein, wenn man es als Schatz auffasst und zulässt, dass die sehr feinen Antennen die Lebensqualität potenziell steigern können.
Einige positive Eigenschaften an Hochsensibilität sind:
- Wertschätzender rücksichtsvoller Umgang mit dem sozialen Umfeld
- Vorrausschauendes Denken und Handeln
- Voller Ideenreichtum, können für ein Thema richtig brennen, sich und andere begeistern
- Hinterfragen und beschäftigen sich gerne auf tiefgreifender Ebene mit Menschen und Themen
- Intensives Erleben von Mitgefühl, wenn sie es zulassen auch sich selbst gegenüber
Oft fällt Hochsensibilität schon in der Kindheit auf
Mir wurde oft erzählt, dass ich ein relativ ruhiges Kind war, dass sich alles erstmal genau ansah, damit beschäftigt war, alle Wahrnehmungen in sich aufzunehmen und einzuschätzen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich immer ein sehr gutes Verhältnis zu meinem, einige Jahre älteren Bruder wahren wollte, den ich nicht so oft gesehen habe. Also gab ich mir große Mühe, wenn er allerdings genervt war und sich dementsprechend seine Stimme oder sein Blick veränderte oder ein seltsamer Kommentar kam, war ich sofort verunsichert, führte sein Verhalten als Konsequenz auf mich zurück und konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Zum Teil ist das noch heute so.
Eine weitere Situation, die mir im Kopf geblieben ist, waren Kindergeburtstage. Vor allem bei meinen eigenen versuchte ich immer, dass sich alle wohlfühlten, jeder miteinbezogen war, jeder Spaß hatte. Für mich bedeutete das, dass ich am Ende des Tages sehr erschöpft war, weil ich so viel bei dem Wohlbefinden der anderen war, wodurch ich mich selbst zurückstellte.
Wenn ich Erwachsene über Themen sprechen hörte, nahm ich nicht nur das gesprochene Wort wahr, sondern hörte auch in welche Stimmung sie waren, ob eine Erwartung mitschwang oder eine Doppelbotschaft. Als Kind war das für mich teilweise verwirrend, da ich etwas anderes spürte als ausgesprochen wurde. Auch das ist typisch für Hochsensibilität.
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Bedeutet Hochsensibilität gleich Introvertiertheit?
Hochsensible Menschen benötigen vielleicht öfter mal einen Rückzugsort für sich, um Eindrücke zu verarbeiten oder sich zu sortieren. Das heißt aber nicht, dass Hochsensible ungern Zeit in Gesellschaft verbringen: feste Bindungen zu Menschen aufzubauen, ist oft bedeutsam. Einige Hochsensible sind sogar extravertiert, genauso wie es ein Mythos ist, dass kaum Männer hochsensibel seien.
Fazit: Hochsensibilität als Segen
Ich nehme es heute sehr positiv wahr, über meine Hochsensibilität Bescheid zu wissen. Denn ich habe mich immer wieder gefragt, was an mir „falsch“ sei, aber eigentlich war das nie der Fall, ich habe nur eine bestimmte Anlage vererbt bekommen, wie manche Menschen mit unterschiedlich langen Beinen oder einer bestimmten Augenfarbe zur Welt kommen. Es ist nichts, was ich verändern kann und es geht absolut nicht darum, es loszuwerden! Stattdessen versuche ich, für mich einen guten Weg zu finden und sie als Ressource zu nutzen: zum Beispiel beruflich, wo ich wie viele Hochsensible im sozialen Bereich meinen Weg gefunden habe. Zudem kann ich mir inzwischen Pausen viel besser zugestehen, da ich verstanden habe, dass mein Nervensystem viel mehr verarbeitet und ich mir gegenüber mit Selbstfürsorge begegnen darf. Mit der Erkenntnis, hochsensibel zur Welt gekommen zu sein, habe ich viele Dinge in meinem Leben plötzlich in einem anderen Licht gesehen, mir gegenüber mehr Verständnis aufbringen können und letztlich ist die Achtung vor mir selbst gewachsen.
In der Natur habe ich meine Kraftorte und schätze auch die Ruhe und Zeit, die ich alleine verbringe. Andererseits kann ich mich stundenlang in Themen vertiefen, die mich interessieren und liebe es, mich in meiner Kreativität in neuen Projekten auszuleben! Mit der Zeit lerne ich mich immer besser kennen und bekomme ein Gefühl dafür, Grenzen zu setzen und in mich reinzuspüren.
Ob du vielleicht auch zu den hochsensiblen Menschen gehörst? Diese Fragen können für dich ein erster Anhaltspunkt sein:
- Du nimmst intuitiv wahr, wie es anderen geht und das beeinflusst oft auch deine eigene Stimmung?
- Dir sind Gerechtigkeit und ein wohlwollendes friedliches Miteinander besonders wichtig?
- Nach einem Stadtbummel spürst du die Erschöpfung deutlich, da dich die vielen Leute und Reize in den Geschäften quasi überfluten. Hast du anschließend erstmal das Bedürfnis nach Ruhe und würdest eine Einladung zu einer Geburtstagsparty am liebsten ausschlagen?
- Bestimmte Aussagen vom Menschen in deinem sozialen Umfeld können dich noch lange beschäftigen und die Situation spielt sich vor deinem inneren Auge immer und immer wieder ab, vor allem wenn sie Kritik beinhaltet hat?
- Aktuelle Nachrichten beispielsweise im Fernsehen, insbesondere negative oder brutale gehen nie spurlos an dir vorbei und der Weltschmerz kann dich stark einnehmen. Versuchst du daher, diese nur dosiert zu konsumieren?
Hier kannst du den Selbsttest dazu machen.
- Rolf Sellin (2011): Wenn die Haut zu dünn ist – Hochsensibiliät vom Manko zum Plus. Kösel-Verlag.
- Elaine N. Aron (2014): Sind Sie hochsensibel? Das Arbeitsbuch. mvg Verlag.
- Corinna Hartmann (2022): Hochsensibilität. Psychologie Heute. Zuletzt aufgerufen am 21.06.2023 unter: https://www.psychologie-heute.de/gesundheit/artikel-detailansicht/42259-hochsensibilitaet.html
- Healthy Habits: Hochsensibilität – Ressourcen von HSPs für HSPs. Zuletzt aufgerufen am 21.06.2023 unter: https://www.healthyhabits.de/hochsensibel-leben/
- emotion.de: Hochsensibilität erkennen. Aufgerufen unter: https://www.emotion.de/psychologie-partnerschaft/persoenlichkeit/hochsensibilitaet-erkennen
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