Die Angst und ich
Johanna (20) ist 14 Jahre alt, als sie ihre Angststörung zum ersten Mal wahrnimmt. Ob in öffentlichen Verkehrsmitteln, in der Schule oder im Supermarkt: Johanna hat große Probleme vor anderen Menschen zu sprechen und lebt in der ständigen Angst, sich falsch zu verhalten. Ein Referat in der Schule bereitet ihr schlaflose Nächte. Heute erzählt sie, wie sie ihre Soziale Phobie überwunden hat.
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Ich bin 14 und sitze im Bus. Ich kann nicht atmen. Mein Herz klopft unglaublich schnell, ich schwitze, dabei weiß ich gar nicht. Ich habe wahnsinnige Angst – und ich weiß nicht woher sie kommt. Ich schaue mich vorsichtig um. Der Bus ist rappelvoll. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass ich von allen Seiten angestarrt werde. Ich versuche mich zu beruhigen: „Es ist alles okay, niemand schaut dich an. Alles ist gut.“ Aber es hilft nicht, die Panik schnürt mir den Hals zu: Ich glaube, ich ersticke, ich habe Angst, das ist doch nicht normal, ich bekomm keine Luft, ich muss hier raus.
Als ich den Bus verlasse, muss ich erst einmal tief durchatmen. Mein Herzschlag beruhigt sich langsam, aber der Knoten in meinem Hals bleibt.
Situationen wie diese traten in den folgenden Monaten immer häufiger auf. Wenn ich einen Vortrag in der Schule halten musste, zitterte ich so stark, dass ich fast meine Karteikarten fallen ließ. Wenn ich einkaufen ging, raste mein Herz schon bei dem Gedanken daran, mit einem Verkäufer zu sprechen. Wenn ich auf der Straße angesprochen wurde, war ich so nervös, dass ich anfing zu stottern. Und wenn ich von vielen fremden Menschen umgeben war, wurde ich von dem ständigen Gefühl begleitet, angestarrt zu werden. Ich lebte mit dem Gefühl, dauerhaft von meinen Mitmenschen abgewertet zu werden.
So verbrachte ich viel Zeit Zuhause oder mit meiner besten Freundin. Im Alltag vermied ich es, alleine einzukaufen, Bus zu fahren oder auch einfach nur durch die Stadt zu laufen. Wohl fühlte ich mich nur in Begleitung. Vertraute Personen, wie meine Eltern oder meine Freunde, gaben mir in der Öffentlichkeit ein Gefühl von Sicherheit. Wenn ich doch einmal alleine unterwegs war, schaute ich stets mit Herzklopfen auf den Boden, um ja nicht aufzufallen.
Diagnose: Soziale Angst
Meine physisch wie psychisch extremen Reaktionen im Umgang mit anderen Menschen, die ständige Nervosität, die Panik mich zu blamieren, waren eindeutige Symptome für eine soziale Angststörung.
Bei einer sozialen Phobie haben die Betroffenen, extreme Angst sich vor anderen Menschen zu blamieren oder von diesen bewertet und herabgewürdigt zu werden. Aus diesem Grund ist es für sie eine große Herausforderung, alltägliche Situationen wie den Einkauf im Supermarkt oder einen Vortrag in der Schule zu meistern. Kritik wird sehr schnell auf die eigene Person bezogen, was zu großen Selbstzweifeln führt. Die Betroffenen leiden unter anderem unter Herzklopfen, Schweißausbrüchen oder Zittern. Die akute Angst vor sozialen Interaktionen, kann zu Panikattacken führen und langfristig die Isolation nach sich ziehen.
Bist du nicht einfach nur schüchtern?
Die Gründe für eine Soziale Phobie sind sehr viel weitreichender, als oft angenommen. So kann natürliche Schüchternheit zu der Entstehung von einer Sozialen Phobie beitragen, ist aber auf keinen Fall mit dieser gleichzusetzen. Betroffene sind nicht einfach nur unsicher, sondern haben einen ernst zu nehmenden Leidensdruck. Die ständige Angst von den Mitmenschen bewertet, sowie ausgegrenzt zu werden und der damit einhergehende Stress bestimmen das komplette Leben.
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Mobbing als Auslöser
Eine Angststörung lässt sich, wie alle psychischen Krankheiten nicht auf eine Ursache runterbrechen. Dennoch kann ich sagen, dass meine soziale Angst ihren Ursprung in meiner Schulzeit fand.
Ich war nie ein besonders schüchternes Kind, ich habe gerne Theater gespielt und hatte immer viele Freunde. Nach der Grundschule wechselte ich aufs Gymnasium und wurde in meiner neuen Klasse zum Außenseiter. Später kamen verbale wie körperliche Angriffe von meinen Klassenkameraden hinzu. Aufgrund der täglichen Kommentare über mein Aussehen oder meine Wortmeldungen in der Schule, bekam ich das Gefühl alles falsch zu machen und unter ständiger Beobachtung zu stehen. Da ich meinen Mitschülern keine Angriffsfläche mehr bieten wollte, isolierte ich mich immer mehr und versuchte, unsichtbar zu werden. Trotzdem lebte ich, auch außerhalb der Schule, in ständiger Angst erneut erniedrigt oder anderweitig angegriffen zu werden. Ich stand dauerhaft unter Strom und die Panik vor anderen Menschen bestimmte mein Leben.
Auch wenn die Mobbingerfahrung während meiner Schulzeit, einer der Hauptauslöser für meine sozialen Ängste war, so gibt es noch vielzählige andere Gründe für eine Angststörung. Krankheitsbilder und ihre Auslöser sind so individuell wie die Menschen selbst.
Kommen dir manche der oben beschriebenen Situationen bekannt vor?
- Hast du Angst, im Mittelpunkt zu stehen, von anderen Menschen bewertet und erniedrigt zu werden oder dich zu blamieren?
- Vermeidest du alltägliche Situationen, aus Angst im Mittelpunkt zu stehen, erniedrigt zu werden oder dich zu blamieren?
- Gibt es alltägliche Situationen, die bei dir starke körperliche Symptome auslösen, wie z.B. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern, Übelkeit oder Schwächeanfälle?
Wenn du einer dieser Fragen mit Ja beantwortest hast, kann dies ein Indiz für eine Angststörung sein. Sprich am besten mit einer vertrauten Person über deine Ängste und suche dir professionelle Hilfe. Mach dir keine Sorgen: Angststörungen sind behandelbar!
Die Angst annehmen
Nachdem ich in der 9. Klasse die Schule wechselte, kam ich in ein Umfeld, in dem ich mich deutlich sicherer und akzeptierter fühlte. Dennoch litt ich weiterhin unter der Angst von meinen Mitmenschen erniedrigt zu werden. Ständig hatte ich das Gefühl, dass hinter meinem Rücken über mich geredet wurde und jedes Referat bereitete mir weiterhin schlaflose Nächte.
Doch im Laufe der Zeit lernte ich mit der Angst zu umzugehen. Ich ging zur Schule, ich redete mit meinen Klassenkameraden und hielt Vorträge – und durfte die Erfahrung machen, dass mir nichts Schlimmes dabei passierte. So wurde es jedes Mal ein bisschen einfacher. Der Anfang war schwer und die Angst abgelehnt zu werden war riesig, aber je öfter ich die gegenteilige Erfahrung machte, desto sicherer wurde ich.
Mit 17 Jahren beschloss ich dann, mich meiner größten Angst zu stellen. Ich habe einen Poetry Slam bei dem Talentwettbewerb meiner Schule vor 400 Leuten vorgetragen. Vor dem Auftritt ging es mir so schlecht, dass ich mich fast übergeben hätte, dennoch habe ich es geschafft meinen Text ohne Stottern vorzutragen. Der Poetry Slam kam unglaublich gut an und gab mir ein Gefühl von Sicherheit und Akzeptanz.
Eine Therapie half mir, meine Angst zu verstehen.
Später hatte ich weitere Auftritte und stellte mich immer öfter Angstsituationen. Gleichzeitig begann ich eine Therapie, die mir half die Auslöser meiner psychischen Probleme zu verstehen und zu bearbeiten.
Ich würde jedem mit sozialen Ängsten raten damit anzufangen, sich kleineren Angstsituationen zu stellen. Sei es ein Anruf oder einfach eine fremde Person auf der Straße anzusprechen und nach der Uhrzeit zu fragen. Man kann klein anfangen, in einem Umfeld in dem man sich sicher fühlt und so langsam wieder Selbstbewusstsein im Umgang mit anderen Menschen aufbauen. Dies ist natürlich alles andere als einfach und erfordert viel Kraft, weshalb ich immer dazu raten würde, sich auch professionelle Hilfe in Form eines Therapeuten zu suchen. Zusammen kann man Strategien für Angstsituationen finden, um besser mit diesen umzugehen. Außerdem ist es wichtig, die Auslöser einer Angststörung zu verstehen, um diese nachhaltig zu überwinden.
Verschiedene Ängste begleiten mich bis heute, allerdings würde ich sagen, dass ich meine Soziale Phobie überwunden habe. Wenn ich heute im Bus sitze, habe ich kein Herzrasen mehr, ich zittere nicht und ich denke nicht darüber nach, was die anderen von mir halten könnten. In den letzten Jahren bin ich deutlich selbstbewusster geworden und trotzdem ist es ein stetiger Weg, auf dem nicht immer alles bergauf geht. Manchmal habe ich immer noch Angst, wenn ich Vorträge halte oder eine unbekannte Person anrufen muss, aber die Angst vor Ablehnung bestimmt nicht mehr mein Leben. Letztendlich weiß ich, dass mein Wert als Mensch nicht von der Meinung anderer abhängig ist.
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