Missbrauch als Punchline - Wie Kinofilme Vergewaltigungen und Stalking verherrlichen
Ein Stalker hier, eine Vergewaltigung dort – Nora ist entrüstet, wie beiläufig sexuelle und psychische Gewalt in Filmen zu Unterhaltungszwecken verharmlost wird. Ihre Gedanken dazu – und ein Schlüsselerlebnis, in dem ihr bester Freund und ihr Ex-Freund eine Rolle spielen, teilt sie in diesem Beitrag mit euch.
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Vor ein paar Jahren kam der Film Lommbock (2017) in die Kinos. Mein Exfreund und mein bester Freund wollten diesen Film unbedingt sehen und waren förmlich geschockt, als sie hörten, dass ich den ersten Teil Lammbock – Alles in Handarbeit (2001) nicht kannte. Also wurde ich kurzerhand auf die Couch gesetzt, mit Popcorn ausgestattet, damit wir direkt nachdem wir den ersten Teil auf der Couch gesehen haben, perfekt eingestimmt ins Kino gehen konnten. „Bereite dich auf den lustigsten Film überhaupt vor!“, wurde mir gesagt. Soweit, so gut. Der Film begann und ich langweilte mich etwas. Mein Humor ist das nicht, aber über Humor lässt sich streiten! Lammbock erschien mir wie ein ziemlich primitiver Stoner-Film, der vermutlich nur mit beeinträchtigter Sinneswahrnehmung zu ertragen ist.Es geht darin um zwei Jungs, die unter dem Deckmantel eines Pizza-Service heimlich Marihuana ausliefern – und selbst ihre besten Kunden sind. Der Film erscheint recht harmlos, bis zu einer Szene: Hauptdarsteller Stefan, ein sympathischer aber leicht verpeilter Jura-Student, legt sich nach einer Party zu seiner Exfreundin ins Bett und schläft der regungslosen Frau neben sich bei. Am nächsten Morgen läuft jedoch genau diese Exfreundin ins Zimmer und zwitschert fröhlich „Guten Morgen“. Stefan schaut auf die Frau, mit der er in der vergangenen Nacht geschlafen hat und bemerkt, dass es seine kleine Schwester ist. Die beiden Männer neben mir auf der Couch kringelten sich vor Lachen und ich war geschockt. Ich fragte sie, was an dieser Vergewaltigung denn so lustig sei. Die beiden hörten verdutzt auf. „Ach, Vergewaltigung. Das klingt so hart.“
Vergewaltigung, das klingt so hart.
„Der wusste halt nicht, dass es seine Schwester ist“, versuchte mir einer von beiden den vermeintlichen Witz zu erklären. Und genau das schockierte mich, denn das grob fahrlässige Vorgehen des Regisseurs und Drehbuchautors Christian Zübert, eine Vergewaltigung als Punchline auszuschlachten, hat einen gefährlich verharmlosenden Effekt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer. Liebe Leute, eine Vergewaltigung ist nicht nur dann eine Vergewaltigung, wenn das Opfer brutal überfallen wird, sondern jedes nicht-einvernehmliche orale, vaginale oder anale Eindringen in eine andere Person oder von einer anderen Person. Eine schlafende oder bewusstlose Person kann gar keine Einwilligung zu einem Sexualakt geben, somit werden wir in dieser Szene in jedem Fall Zeugen einer Nötigung bis hin zur Vergewaltigung.
Sie fanden das Thema eher lästig
Die beiden Männer hörten sich meine Erklärung an und stimmten auch zu, jedoch merkte ich, dass sie die tiefgehende Thematik eher lästig fanden – für sie hatte dieser Film eine recht primitiv-amüsante Handlung; dass dieser jetzt auf einmal so viel Gewicht zugetragen wurde, passte nicht zu ihrer Wahrnehmung. Und genau das ist so höchst problematisch. Über Vergewaltigung und Nötigung muss berichtet werden, es muss gezeigt werden, weil viele Menschen die Häufigkeit dessen nicht vor Augen haben. Eine Vergewaltigung als stupide Pointe zu missbrauchen ist jedoch nicht nur respektlos und triggernd den Opfern gegenüber, sondern verharmlost die Tat.
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Da Lammbock ja nun bereits 2001 erschienen ist, konnten die beiden Männer mich überzeugen, mit ihnen den zweiten Teil anzuschauen. 2017 würde sowas ja nicht mehr passieren und Zübert hätte vermutlich auch in der Zwischenzeit einiges gelernt, was er als so junger Regisseur von knapp 30 Jahren 2001 noch nicht gewusst hat. Leider nein. Leider gar nicht. Hauptdarsteller Stefan, inzwischen erwachsen, relativ erfolgreich und etwas weniger vertrottelt, pendelt beruflich und privat zwischen Deutschland und Dubai und träumt seinen Tagen als Stoner nach.
Auch der zweite Teil verherrlicht Gewalt
Erneut, und dieses Mal noch überflüssiger und beiläufiger als bereits im ersten Teil, wird die damalige Vergewaltigung seiner kleinen Schwester thematisiert. Stefan ruft seinen Vater an und dieser beschwert sich, Stefan würde sich nie bei ihm melden. Selbst seine kleine Schwester würde häufiger anrufen, und „die wohnt immerhin in Australien und hat ein behindertes Kind.“
Ein recht beiläufiger Satz mit jedoch so viel Interpretationsspielraum. Dass Kinder, die aus inzestuösen Beziehungen, also Beziehungen zwischen Blutsverwandten entstehen, ein extrem erhöhtes Risikopotential für körperliche und geistige Behinderungen haben, ist medizinisch vielfach belegt. Christian Zübert schießt sich somit leider wieder komplett ins Aus – die Chance, den unmöglichen Umgang mit sexuellem Missbrauch aus dem ersten Teil aufzuarbeiten, wird bewusst verpasst. Stattdessen tritt der Film die Gewaltverherrlichung weiter breit. Und das wirklich Problematische daran ist, dass viele Zuschauerinnen und Zuschauer unbewusst eine sehr gefährliche Message verinnerlichen: sich an jemandem zu vergreifen, der schläft, ist nur dann falsch, wenn es die kleine Schwester ist.
Genau davon handelte auch unsere Diskussion nach dem Film – für mich ist der Film durch diese verherrlichte Vergewaltigung und dessen fahrlässigen Umgang unerträglich. Dies zu thematisieren, trifft jedoch auf viel Kritik – man will sich ja amüsieren! Und das Gesehene zu hinterfragen, wenn es doch so hübsch komödiant verpackt ist, ist auch einfach lästig. Leider ist genau diese Glorifizierung von Gewalt gegen Frauen ein sehr gängiges Phänomen in Popkultur. Diese Gewalt muss sich nicht zwangsläufig durch körperlichen Missbrauch abzeichnen. Auch Stalking und Belästigung werden in der Filmindustrie höchst idealisiert.
- In Fifty Shades of Grey (2015) stalked der männliche Protagonist sein Objekt der Begierde so lange, bis sie sich ihm willentlich hingibt.
- In Tatsächlich… Liebe (2003) verliebt sich ein Mann hoffnungslos in die Frau seines besten Freundes. Der Mann beschließt, ihr seine Liebe in dem Video von ihrer Hochzeit zu gestehen, und taucht sogar unangekündigt vor ihrer Tür auf, obwohl sie nie ihr Interesse an ihm bekundet hat.
- In Twilight (2008) schleicht sich der männliche Hauptcharakter regelmäßig in das Zimmer der Protagonistin und schaut ihr beim Schlafen zu.
- In Passenger (2016) erwacht ein Passagier eines Raumschiffs, das auf eine „neue Erde“ zusteuert, 90 Jahre zu früh. Er ist die einzige Person, die wach ist, und es ist unvermeidlich, dass er sterben wird, bevor das Schiff landet und alle anderen aufwachen. Aus chronischer Vereinsamung gerät der Protagonist in die Besessenheit einer Frau, die er nie kennen gelernt hat, befreit sie aus ihrem Kälteschlaf und verurteilt sie dadurch zum Tod. Die Frau spricht es sogar aus, als sie herausfindet, dass er sie absichtlich aufgeweckt hat. „Das ist Mord!“, ruft sie. Doch am Ende kommen die beiden zusammen,…
… wie auch in allen anderen hier genannten Beispielen, mit Ausnahme von Tatsächlich… Liebe, wo die Frau ihren Stalker lediglich zum Abschied küsst.
Immer wieder vermittelt diese Darstellung von romantisiertem Missbrauch, dass der Zweck die Mittel heiligt. Selbst wenn die Mittel missbräuchlich und illegal sind, so geschieht dies der Argumentation nach aus Liebe und für die Liebe. Und diese Argumente übertrumpfen scheinbar jegliches Recht und Gesetz. Der ehemalige Football-Spieler O.J. Simpson sagte in einem Interview bezüglich des Mordes an seiner Frau: „Selbst wenn ich es getan hätte, dann doch wohl, weil ich sie so sehr geliebt habe, oder?“
Auch in Game of Thrones (2014) bemitleiden Zuschauer*innen Tyrion für den Mord an seiner Geliebten, Shae. Immerhin hat diese ihn ja auch verraten und er erscheint einem auf absurde Art wie ein grotesker Erlöser, wenn er sie stranguliert. Es geschieht ja aus Liebe, und Liebe ist etwas durch und durch Gutes. Leider ist genau dieser Fehlschluss folgenschwer. Denn durch die Behauptung, dass etwas aufgrund extremer Emotionen wie Liebe geschieht, entlässt man den Täter in gewisser Weise aus seiner Verantwortung.
Selbstbestimmtes, bedachtes Handeln wird ersetzt durch eine unbewusste Affekthandlung. Das bedeutet gleichzeitig, dass der Täter nicht mehr angemessen zur Rechenschaft gezogen werden kann. Folglich verhält man sich, als ob bei diesen, von Affekt bestimmten Taten eine gewisse Teilschuld dem Opfer anzulasten wäre, da dieses den Täter zu seiner Tat getrieben hat. Dieses Victim Blaming hat eine ähnlich gravierende Bilanz, wie die Verherrlichung der Taten an sich. Durch Beschönigung von Stalking und Gewalt wird genau das in unserer Gesellschaft gefördert und verstetigt.
Es gibt eine Reihe von Studien, die darlegen, wie schädigend der Einfluss solcher Filme auf unsere Gesellschaft sein kann. Einfach gesagt lernen Männer durch diese Filme, kein „Nein“ zu akzeptieren, sondern stattdessen die Frau durch Verführung und Überredungskunst zu einem Ja zu bewegen. Wenn eine Frau einen zurückweist, bedeutet das nicht etwa, dass diese selbstständige, eigenverantwortliche Frau ihre autonome Meinung kundtut und man dies respektieren sollte. Vielmehr wird das als Ansporn angesehen, es noch vehementer zu versuchen und wenn dabei ein oder zwei Gesetze gebrochen werden, ist das ja nur halb so schlimm, denn am Ende werden sie für ihre Mühen ja belohnt.
Auf Frauen haben diese Film den Effekt, dass sie häufiger toxisches Fehlverhalten entschuldigen und den Fehler bei sich selbst zu suchen. War ich es, die dies in ihm ausgelöst hat? Sollte ich dem Nachgeben, da er viel für mich empfindet? Aber er meint es ja sicherlich nicht böse, also sollte ich ihm einfach vergeben, richtig? Und er steht jeden Tag aus Liebe bei mir vor der Tür und bringt mir Blumen, die ich nicht möchte. Da sollte ich doch dankbar sein, richtig? Die Antwort auf all diese Fragen ist recht simpel: Nein. Eine Beziehung sollte nicht auf der Grundlage aufgebaut sein, dass man dazu weichgeklopft wurde oder man kapituliert. Es ist auch nichts Schlimmes oder gar Beleidigendes, wenn die eigenen Gefühle, sowie die Gefühle eines anderen nicht erwidert werden. Und Filme, die sich Millionen Menschen ansehen, sollte genau das auch zeigen, und nicht Straftaten und Missbrauch verherrlichen. Vielleicht könnten diese dann auch einen positiven Effekt auf unsere Gesellschaft auslösen, wer weiß?
Was wir daraus mitnehmen sollten ist jedoch, das, was wir in Filmen zu sehen bekommen, auch zu hinterfragen. Ist das wirklich so romantisch, wie ich glauben soll? Bricht er grade bei ihr ein? und Warum verliebt die sich denn jetzt in den? sind schon mal ein guter Anfang. Und wenn sich bei euch jemand nachts ins Zimmer schleicht, um euch beim Schlafen zuzuschauen, ruft ihr bitte sofort die Polizei.
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