Selbstwertschätzung: Wie ich aufhörte meine eigene Feindin zu sein
Was verbindest du mit Selbstwertschätzung? Nimmst du dir täglich ein paar Minuten Zeit um Selbstfürsorge zu betreiben? Was tut dir gut und gehst du mit dir selbst mitfühlend um? InCogito-Autorin Annabell teilt ihren Weg zu mehr Selbstmitgefühl und Selbstwertschätzung.
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Wenn man mir noch vor drei oder vier Jahren diese Fragen gestellt hätte, ein Teil in mir hätte sich direkt abgewandt und das Gespräch für beendet erklärt. Niemals hätte ich mir selbst zugestanden auch nur darüber nachzudenken, dass es mir „einfach so“ gut gehen darf. Ganz unabhängig davon, was ich schon geleistet habe.
Heute finde ich diesen Gedanken sehr erschreckend, wie stark mich mein innerer Antreiber – so nenne ich diesen Anteil von mir – im Griff hatte und wie abwertend ich über mich selbst dachte und manchmal noch heute denke.
Durch die Therapie habe ich erkannt, dass ich jahrelang gegen mich und nicht für mich gearbeitet habe.
Selbstabwertung: Der Grund lag in meinem niedrigen Selbstwert
Irgendwann begriff ich, dass sich hinter meiner permanenten Selbstabwertung eigentlich negative, destruktive Glaubenssätze verbargen, die viel früher in meinem Leben entstanden sind und zu einem gewissen Zeitpunkt auch eine essenzielle Daseinsberechtigung hatten, da sie mich schützten und vor etwas Bestimmten bewahrten. Nur gleichzeitig „fütterte“ ich sie über die Jahre immer weiter, indem ich mich dementsprechend verhielt. So trug ich unbewusst dazu bei, dass mein niedriges Selbstwertgefühl, die starken Selbstzweifel Teil meines Lebens wurden.
Glaubenssätze
Glaubenssätze sind Sätze, die wir über uns selbst glauben, unabhängig davon ob sie wahr sind oder nicht. Es sind Annahmen, die wir meist in der Kindheit aufgegriffen und als eine Art Mantra über uns selbst verinnerlicht haben. Dabei müssen die Aussagen nicht wortwörtlich von einer engen Bezugsperson so ausgesprochen worden sein, sondern es kann auch eine Schlussfolgerung unseres kindlichen Selbst gewesen sein, das diese Annahmen in sich verankert hat. Mehr darüber findest du zum Beispiel in dem Buch „Was wir glauben, wer wir sind. Vom Mut uns neu zu denken.“ von Nesibe Özdemir. Außerdem kannst du dich auch im Netz zu Glaubenssätzen informieren.
Ich habe eine lange Zeit gebraucht, bis ich vom rationalen Verstehen auch ins aktive Handeln und ins echte Fühlen kam und damit Veränderung für mich möglich wurde. Denn dieses niedrige Selbstwertgefühl schützte mich auch vor etwas, zum Beispiel davor, verletzt zu werden oder jemanden zu enttäuschen. Wenn ich selbst schon am schlechtesten von mir dachte, könnte es von keinem anderen noch schlimmer kommen, so war meine Annahme. Und genau diesen Schutzmechanismus musste ich fallen lassen, wenn ich mein Selbstwertgefühl steigern wollte.
Selbstwertschätzung muss gesät werden
Das was ich gieße, wächst. Wenn ich also stets das Unkraut pflege, gieße, ihm die besten Bedingungen zum Wachsen gebe, wird es sich vermehren. Ich kann aber auch anfangen einen neuen Samen zu pflanzen, ihn Tag für Tag zu wässern, vor Kälte zu schützen, ihm Sonnenlicht zu ermöglichen und ihm Zeit zu geben zu wachsen.
Bis aus dem Samen eine Blüte und irgendwann eine ganze Blumenwiese entsteht, braucht es freilich viel Geduld und Ausdauer – doch es lohnt sich.
Eine aktive Entscheidung
Meinem selbstabwertenden Anteil muss ich immer wieder aktiv etwas entgegensetzen und darf dem inneren Kritiker nicht alles glauben, was er sagt. Diese Entscheidung, immer wieder für mich und nicht gegen mich zu treffen, ist nicht mit ein paar Mal getan. Sondern ich fange an mein Verhalten zu hinterfragen, ob es mir gerade guttut oder schadet, ob ich mich selbst sabotiere oder meinen wirklichen Zielen näher komme. Eines meiner Ziele ist nämlich langfristig in inneren Frieden mit mir selbst zu kommen. Meine eigene Freundin zu sein.
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Selbstmitgefühl kann man lernen und üben
Ich möchte dir Mut machen, dich auch auf deinen Weg zu mehr Selbstwertschätzung zu begeben. Deine Entscheidung gegen die Selbstabwertung und für dich ist dafür notwendig und auch das Auseinandersetzen mit deinen früheren Grundannahmen. Auch wenn es sich jetzt womöglich noch unglaublich weit entfernt anfühlt, dass du irgendwann mal mitfühlend, wohlwollend ja sogar selbstfürsorglich mit dir umgehst. Den ersten Samen hast du mit dem Lesen dieses Textes schon gesät.
Überleg mal, du warst nämlich nicht schon immer so hart zu dir. Auch dieses Verhalten haben du und ich irgendwann einmal erlernt und so wie dein viel jüngeres Ich alle Liebe der Welt verdient hat – wobei „verdienen“ hier das falsche Wort ist, da man sich Liebe nicht verdienen muss – also so wie dein jüngeres Ich geliebt wurde, steht auch dir heute diese Liebe zu! Niemand kann sie dir absprechen, auch du selbst nicht!
Ich weiß es ist nicht so einfach anzufangen, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören, sich selbst gegenüber Empathie, Wertschätzung und Wohlwollen zuzugestehen. Vor allem, wenn man sich so lange anders behandelt hat, sich das alles verweigert, entzogen oder nicht zugestanden hat. Doch ich bin davon überzeugt: Selbstmitgefühl ist der Weg, sich selbst zu befreien.
Du fragst dich nun wie du Selbstfürsorge üben kannst?
Hier ein paar Ideen:
- Selbstfürsorge auf körperlicher Ebene: ausgewogene Ernährung, Entspannung, ausreichend Schlaf und Bewegung.
- emotionale Selbstfürsorge: Achtsamkeit und das Hinspüren zu Gefühlen.
- mentale Selbstfürsorge: eigene Bedürfnisse wahrnehmen, kritisierende Gedanken erkennen, mit einem Realitätscheck abgleichen und Strategien anwenden, um sie auszubremsen. Schreibe deine Gedanken beispielsweise auf.
- zwischenmenschlich: gesunde Grenzen ziehen und für diese eintreten, um Hilfe fragen, dich mit Menschen umgeben, die dir ein gutes Gefühl geben.
- Nimm dir jeden Tag mindestens ein paar Minuten Zeit nur für dich. Tu dir etwas Gutes, setze dich beispielsweise am Abend mit einer Tasse Tee hin und schreibe 3 Dinge auf für die du heute dankbar bist.
- Kennst du Tara Brach? Lass dich von Meditation, Yoga und Affirmationen inspirieren!
- Mach eine Tabelle, was dir Energie gibt und was dich Energie kostet. Achte auf eine Balance!
- Gib bewusst Geld für etwas aus, was dir Freude macht: ein neues Buch, eine schöne Body-Lotion oder eine Lichterkette, die dein Zuhause gemütlich macht.
- Geh in eine Selbsthilfegruppe und tausche dich mit anderen aus, denen es ähnlich geht wie dir. Zum Beispiel hier: InCogito Selbsthilfegruppen
- Das Wichtigste: Dran bleiben!
Heilung einer psychischen Erkrankung benötigt viel mehr als nur Willensstärke!
Das klingt nun vielleicht alles super einfach, rational klar und wie ein 5-Schritte Plan direkt umsetzbar. Dem Enthusiasmus muss ich allerdings ein bisschen den Wind aus den Segeln nehmen, denn so easy ist es leider nicht. Es war auch bei mir ein langer Prozess und ich möchte dich bitten wohlwollend, geduldig und freundlich mit dir selbst dabei umzugehen, wo wir wieder beim Thema wären.
Die Heilung einer psychischen Erkrankung ist nicht „einfach nur“ eine Entscheidung, die man trifft. Es gab Momente während meiner Erkrankung, zu denen ich nicht bereit war loszulassen, nicht weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht konnte, mich nicht in der Lage dazu befand. Die aufrechterhaltenden Faktoren, der Krankheitsgewinn, der kurzfristige Überlebensmodus einer für mein Unterbewusstes eingestufte Gefahrensituation überwog einfach viel zu stark und ich sah noch keine alternative Lösungsstrategie.
Das soll kein Freifahrtschein für die Essstörung oder eine andere Symptomatik sein, aber aus heutiger Sicht weiß ich, dass es mir geholfen hätte über die Bedürfnisse, die darunter lagen und nicht erfüllt wurden, zu sprechen, die Ängste und Funktionen der Erkrankung, die sie kurzfristig darstellte, in der Therapie zu thematisieren, nur dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht die Möglichkeit dazu hatte.
Ich möchte damit sagen, dass nicht immer für jeden die Voraussetzungen und Mittel gegeben sind, um frühere Schutzstrategien aufzugeben, aber auch das kann ein Anfang der Selbstfürsorge sein. Denn schon indem man sich selbst gegenüber verständnisvoll und weniger verurteilend begegnet, ist es ein Schritt von vielen Richtung Selbstwertschätzung und Selbstmitgefühl.
Und was ist mit Selbstliebe?
Selbstwertschätzung und Selbstakzeptanz ist nicht gleich Selbstliebe. Auf Social Media werden Beiträge gern mit dem Hashtag #selflove versehen. Das führt dazu, dass sich selbst lieben ein Trend geworden ist. Aber sind wir mal ehrlich – niemand kann wirklich alles an sich wirklich immer total toll und fehlerfrei finden. Wenn du dich dann dafür verurteilst, kann Selbstliebe schnell toxisch werden. Einen tollen Beitrag dazu findest du bei Instagram hier:
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Kati Oestreicher
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