Quelle: Pexels - Karolina Grabowska

Retter in der Not: Meine Essstörung, das Antidepressivum und ich

Hannah

Nichts ist für Menschen mit Essstörung so beängstigend, wie Medikamente zu nehmen, die angeblich dick machen. Aber Antidepressiva können Leben retten. Lass dich nicht von Vorurteilen leiten, sondern von Selbstliebe!

 

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Klar, frische Luft, Bewegung, Freizeit mit Freunden, Routinen, meinetwegen auch Therapie. Aber Tabletten? Nein danke! So dachte ich viele Jahre – eigentlich den größten Teil meines Lebens, meines Lebens mit einer Angststörung, mit Depressionen und ganz viel Selbsthass.

Tabletten, nein danke?

Die Geschichte meiner emotionalen Krisen reicht so weit zurück wie die meiner Essstörung. Trotzdem ließ sich der Verzicht auf Psychopharmaka lange gut begründen: Ich funktionierte. Nicht für mich selbst, nicht unbedingt für meine Freunde und Partner, aber, wie sagt man so schön, ich hatte mein Leben trotzdem ziemlich gut, mehr als nur gut im Griff.
Es gibt eine Million Vorurteile gegenüber Antidepressiva und ich glaubte sie alle: Sie machen dumm, sie machen stumpf, sie nehmen dir deine Persönlichkeit, deine Kreativität, deine Träume, deine Sexualität und natürlich machen sie dich dick wie eine selbstzufriedene Wohnungskatze. Oh Boy, lag ich daneben.
Als ich mich endlich – endlich! – entschloss, es doch zu versuchen und die Tabletten in mein Leben zu lassen, erlebte ich ein kleines Wunder. Das erste Mal seit meiner frühesten Kindheit war ich entspannt, zufrieden und nahezu angstfrei. Mein Medikament war mein Retter in der Not, und das, obwohl die eine oder andere Befürchtung sich bewahrheitete.

Du musst das nicht aushalten

Der Tag, an dem ich nicht mehr konnte, war ein Freitag. Ich war seit einer Woche ständigen Panikattacken ausgesetzt, lag im Bett und weinte ins Telefon, an dessen anderem Ende mein bester Freund besorgt zuhörte.
An diesem Tag sprach besagter Freund die magischen Worte: „Du musst das nicht aushalten.“ Natürlich beweist es Stärke, sich selbst aus Krisen befreien zu können, aber es ist erlaubt, sich helfen zu lassen, wenn nötig auch mit Medikamenten. Endlich verstand ich, dass ich der ganzen Misere nicht hilflos ausgesetzt war. Also vereinbarte ich einen Termin bei einem Psychiater.

Wie wirken Antidepressiva?

Antidepressiva werden auch „Stimmungsaufheller“ genannt. Sie wirken gegen eine ganze Reihe von Beschwerden, die mit Depressionen zusammenhängen. Jedes Gehirn besteht aus unzähligen Nervenzellen, die durch sogenannte Botenstoffe, zum Beispiel Serotonin oder Noradrenalin, miteinander kommunizieren. Wenn das Gleichgewicht dieser Botenstoffe gestört ist, können Depressionen entstehen.
Jetzt wird es etwas technisch: Es gibt viele unterschiedliche Wirkstoffgruppen von Antidepressiva, die bei verschiedenen Symptomkombinationen verschrieben werden. Welche die passende ist, muss ein:e Ärzt:in gemeinsam mit den Patient:innen entscheiden. Da die Medikamente erst nach zwei bis sechs Wochen ihre Wirkung entfalten, braucht es ein wenig Geduld und manchmal auch die Bereitschaft, mehrere Wirkstoffe auszuprobieren.
Jedes Antidepressivum hat Nebenwirkungen. Die sind in einer langen Liste in der Packungsbeilage aufgezählt. Weil diese Liste ziemlich gruselig ist, empfehlen Psychiater*innen manchmal, sie nicht selbst zu lesen, sondern das Freund:innen oder Angehörigen zu überlassen. Die können dann auch reagieren, wenn etwas nicht so läuft, wie es sollte.

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Nebenwirkung: Gewichtszunahme

Eine dieser Nebenwirkungen ist bei manchen Präparaten Gewichtszunahme. Um es gleich vorauszuschicken: Antidepressiva, die heute verschrieben werden, sind viel besser verträglich als noch vor 10, 20 oder 30 Jahren. Früher wurden zum Beispiel besonders oft sogenannte Trizyklika verordnet, die für ihre negativen Auswirkungen auf das Körpergewicht bekannt sind*. Diese Wirkstoffgruppe existiert zwar immer noch (überarbeitet und verbessert), Psychiater:innen greifen aber in der Regel auf deutlich verträglichere Medikamente zurück.
Diejenigen Medikamente, die hauptsächlich nach wie vor Gewichtszunahme verursachen können, sind SSRIs, selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer, und SSNRIs, selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer. Beide erhöhen den Serotoninspiegel.
Serotonin ist ein Botenstoff, der für sehr viele Prozesse im Körper verantwortlich ist. Es steuert Schlaf, Appetit und Verdauung, regelt soziales Verhalten und ist für Glücksgefühle verantwortlich*. Wenn du dich in eine warme Badewanne legst, schüttet dein Gehirn jede Menge Serotonin aus. Du fühlst dich wohlig und geborgen. Zu wenig Serotonin kann depressiv machen.

Mehr Selbstliebe bitte!

Wenige Wochen nachdem ich mein Antidepressivum (ein SSRI) angesetzt hatte, ging es mir deutlich besser. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich kampflos ein- und durchschlafen, Probleme fühlten sich weniger existenziell an, ich wurde umgänglicher und weniger neurotisch. Leider nahm ich auch zu.
Das passierte nicht sofort, was unter anderem daran lag, dass ich bestens über diese für mich beängstigendste aller Nebenwirkungen informiert war und fleißig gegensteuerte. Ich praktizierte quasi permanentes Intervallfasten, sparte an Fett, aß so gut wie gar nichts Süßes. Ich hatte gelesen, die Gewichtszunahme sei lediglich ein Ergebnis des gesteigerten Appetits. Ich arbeitete also gegen mich selbst und gegen einen Appetit, der, das denke ich rückblickend, vor allem dadurch gesteigert war, dass ich kaum etwas aß. Hello again, Essstörung! Trotzdem nahm ich nach etwa sechs bis acht Monaten langsam zu.
Achtung! Das passiert bei weitem nicht allen. Es gibt sogar Personen, die unter SSRIs abnehmen. Jeder Körper reagiert anders. Es lohnt sich also eigentlich überhaupt nicht, sich schon vor Beginn der Einnahme darüber Sorgen zu machen.
Eine ganze Weile bildete ich mir ein, ich könne das Problem allein in den Griff bekommen, noch weniger essen, mehr Bewegung, reiß dich zusammen! Es half nicht. Die Zwickmühle war gigantisch. Mir ging es gut, richtig gut, und trotzdem fühlte ich mich hässlich, absolut nicht liebens- und schon gar nicht begehrenswert. Ich konnte die Vorstellung, dass jemand mich in Unterwäsche oder sogar nackt sehen würde, überhaupt nicht ertragen.
Heute denke ich: Mehr Selbstliebe bitte!

Du hast es verdient, nicht depressiv zu sein

Denn jetzt folgen ein paar gute Nachrichten: Erstens: Wie genau Antidepressiva wirken und wie ihre Nebenwirkungen entstehen, ist bisher weitreichend ungeklärt. Sätze wie „Patient:innen, die von Antidepressiva zunehmen, müssen einfach nur auf ihre Ernährung achten“ sind totaler Unsinn. Wir wissen, dass Serotonin die Verdauung und den Stoffwechsel beeinflussen kann. Mehr oder weniger Serotonin im Hirn kann (muss aber nicht!) dazu führen, dass du ein guter oder schlechter Futterverwerter wirst, ohne dass du durch dein Verhalten daran etwas ändern kannst. Serotonin kann auch auf den weiblichen Hormonzyklus wirken und reguliert den Schlaf – beides hat Einfluss auf das Körpergewicht. Solltest du durch Antidepressiva ein paar Kilo zugelegt haben, ist es wichtig, dass du dir immer wieder klarmachst: Du bist nicht schuld!

Zweitens: Niemand, der vorher gertenschlank war, wird unter Antidepressiva adipös. Vielleicht schwankt dein Gewicht ein wenig, vielleicht aber auch nicht. Hier wie sonst auch im Leben gilt: Horrorszenarien sind unrealistisch.

Drittens: Keine Depressionen zu haben, ist wichtiger als Körpergewicht. Solltest du überlegen, ob du Medikamente ausprobierst, stell doch lieber dein Glück in den Vordergrund als die Frage, wie andere Menschen dich sehen könnten. Ich weiß, das ist gar nicht so einfach. Vor allem dann, wenn man an einer Körperschemastörung leidet und schon ein Kilo mehr auf der Wage im Spiegel doppelt und dreifach zählt. Auch Depressionen helfen nicht dabei, sich selbst zu mögen. Trotzdem solltest du dir immer wieder klarmachen, dass du es wert bist, dass es dir gut geht, dass du schlafen und dich freuen kannst. Du hast es verdient, nicht depressiv zu sein.

Viertens: Eine merkliche Gewichtszunahme zählt zu unerwünschten Nebenwirkungen, vor allem dann, wenn sie eine Ess- und/oder Körperschemastörung triggern. Wenn du davon betroffen bist, kannst du mit deiner Ärztin über Alternativen sprechen. Es gibt Wirkstoffe, bei denen diese Nebenwirkung nicht auftritt und sogar solche, die eher Gewichtsabnahme verursachen. Du bist nicht dazu verdammt, entweder mit mehr Gewicht oder mit Depressionen zu leben. Es gibt immer Alternativen.

Fünftens: Die wenigstens Menschen nehmen Antidepressiva ihr ganzes Leben lang. In der Regel klingen die Symptome ab. Die ärztliche Empfehlung lautet dann, noch ungefähr sechs Monate mit dem Absetzen zu warten und die Medikamente dann langsam ausschleichen zu lassen. Ich habe die zusätzlichen Kilos in den ersten Monaten nach dem Absetzen ganz problemlos wieder verloren. Der Stoffwechsel stellt sich ganz von allein wieder um. Keine Nebenwirkung bleibt dauerhaft.

Alles hängt zusammen

Psychische Probleme sind ein komplexes System. Essstörungen, Depressionen, Ängste, alles hängt miteinander zusammen. Wenn du Hilfe brauchst, solltest du sie in Anspruch nehmen. Belaste dich nicht mit dem Anspruch, alles allein schaffen zu wollen. Das müssen nicht immer Medikamente sein. Es gibt sehr wirkungsvolle Therapiemethoden und andere Behandlungsmöglichkeiten. Wenn du nicht gleich einen Termin bei einem Psychiater machen möchtest, sprich doch erst einmal mit deiner Hausärztin oder deinem Hausarzt. Es ist völlig okay, sich für eine Behandlungsmethode zu entscheiden, mit der du gut leben kannst. Keine Entscheidung ist dabei endgültig. Wenn du dich mit einer Therapeutin nicht wohlfühlst, musst du nicht weiter hingehen. Wenn du mit den Nebenwirkungen eines Medikaments unglücklich bist, musst du es nicht mehr nehmen. Du ganz allein entscheidest dich für die Form der Therapie und Behandlung.

Disclaimer: Nur approbierte Ärztinnen und Ärzte dürfen Antidepressiva verschreiben. Du solltest dich niemals allein behandeln. Wenn du ein Medikament nehmen oder absetzen, die Dosierung ändern oder den Wirkstoff wechseln willst, solltest du immer eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Die Einnahme von Psychopharmaka muss medizinisch überwacht werden. Nimmst du Medikamente von Freunden oder anderen Personen an, bringst du dich selbst in Gefahr.

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Kati Oestreicher

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Quelle: Pexels - Andrew Neel

Jenseits der Perfektion:

Die Last unrealistischer Schönheitsideale für junge Männer

Daniel

In einer Ära, die maßgeblich von visuellen Medien und gesellschaftlichen Erwartungen geprägt ist, erleben junge Menschen einen zunehmenden Druck in Bezug auf ihre Körperbilder. Auch wenn es Mädchen und Frauen anders und offensichtlicher trifft, so sind auch Jungs und Männer gesellschaftlichen Erwartungen ausgesetzt. In diesem Beitrag untersucht InCogito-Autor Daniel, welche Folgen unrealistische Schönheitsideale für junge heranwachsende Männer haben können und wie es ihm als schwulen Mann mit diesen Schönheitsidealen geht.

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Die unsichtbare Last: Geschlechtsspezifische Erwartungen und persönliche Erfahrungen

In einer Welt, die von visuellen Medien geprägt ist, stehen junge schwule Männer nicht nur unter dem Druck ästhetischer Normen, sondern auch unter geschlechtsspezifischen Erwartungen. Frauen wurden und werden oft aufgrund äußerer Erscheinung bewertet, während Männer vor allem am finanziellen Erfolg gemessen wurden. Dieser Druck manifestiert sich in persönlichen Erfahrungen, wie dem Streben nach einem idealen Körperbild, um gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Auch wenn Körperbilder und -erwartungen konstant im Wandel sind, so zeigen populäre Influencer wie Andrew Tate, dass Unsicherheiten und Anforderungen an und um Männlichkeit profitabel sind.

Bigorexia: Die verzerrte Selbstwahrnehmung

Ständig perfekt bearbeitete Körper in Sozialen Medien zu sehen, kann die Erwartung hervorrufen, selber so aussehen zu müssen. Wenn dann die Erkenntnis eintrifft, dass man nicht so aussieht, dann fragt man sich, warum. Muskelaufbau braucht jedoch ewig. Und das verraten einem Influencer nicht, die einem ein Sechs-Wochen-Sixpack-Programm verkaufen wollen. Sie verraten einem auch nicht, dass die Gefahr besteht, niemals zufrieden zu sein. Denn die Körpererwartungen, denen wir ausgesetzt sind, setzen ein „niemals zufrieden, immer nach mehr streben“ voraus. „Bigorexia“, auch als Muskeldysmorphie bekannt, ist der von Mediziner:innen dafür genutzte Begriff. Es ist eine psychische Störung, bei der Betroffene eine verzerrte Wahrnehmung ihres eigenen Körpers haben. Trotz objektiver Muskulosität fühlen sie sich unzureichend muskulös, was zu extremen Fitness- und Ernährungsverhalten führt. Auf sozialen Netzwerken wird dieser Druck verstärkt, indem Nutzer:innen scheinbar „perfekte“ Körper präsentieren. Dass diese Körper jedoch nicht immer nur das Resultat von jahrelangem Training und Ernährung sind, sondern durch Bildbearbeitungen und auch Dopingmitteln erzielt wurden, bleibt aus. Stattdessen sehen wir auf Social Media das Ideal, 365 Tage in Form und „lean“ zu sein – also einen möglichst geringen Körperfettanteil für sichtbare Bauchmuskeln zu haben. Dies ist nicht nur für die meisten Menschen unrealistisch, sondern auch gefährlich.

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Die Rolle der Vorbilder und der Einfluss der Medien

Vorbilder aus dem Fitnessbereich können inspirierend, aber auch problematisch sein. Der Lebensstil, der stark auf körperliche Ästhetik ausgerichtet ist, vermittelt den Eindruck, dass nur ein muskulöser Körper erstrebenswert ist. Dies kann junge Jugendliche in einen Teufelskreis aus ständigem Training und restriktiver Ernährung führen. Die ständige Präsenz unrealistischer Körperbilder auf Plattformen wie TikTok und Instagram verstärkt diesen Druck weiter. Außerdem reden kaum Menschen darüber, dass ihre Ergebnisse mit Steroiden und anderen leistungssteigernden Mitteln erzielt wurden. Was realistisch erreichbar ist, ist nicht das, was auf Social-Media zu sehen ist. Der Standard ist somit nicht nur das   Bearbeiten von Bildern, sondern im Vorfeld Steroide und Anabolika zu nehmen. Das Aussehen vieler Influencer:innen ist somit schlicht unrealistisch. Dass das jedoch nicht so kommuniziert wird, ist ursächlich dafür, dass dann junge Menschen unrealistische Erwartungen an sich und ihren Körper haben.

Gesundheitliche Risiken und psychologische Auswirkungen

Der obsessiven Sorge um Muskelmasse und dem Idealbild folgend können ernährungsbedingte und physische Gesundheitsprobleme entstehen. Übermäßige Proteinzufuhr und überintensives Training belasten nicht nur die Nieren, sondern können auch Verletzungen und Langzeitschäden verursachen. Psychisch leiden Betroffene besonders unter dem ständigen Gefühl der Unzulänglichkeit, was zu Depressionen, Angststörungen und geringem Selbstwertgefühl führen kann. Fitness und Sport müssen nicht zu negativen Auswirkungen führen, aber es kann, sobald ein Leidensdruck entsteht. Sobald man sich in seinem Essverhalten zwanghaft fühlt. Als würde man sich jetzt zwingen müssen, das gesündeste Essen zu wählen oder gänzlich auf Nährstoffe wie Kohlenhydrate zu verzichten. Oder soziale Verabredungen konstant absagt und sich lieber dem Sport widmet. Es gibt Menschen, für die ist das ein Lifestyle, der sie glücklich macht, aber es gibt auch Menschen, die diesen Lifestyle zwar befolgen, den es aber nicht glücklich macht und die leiden, weil sie nur gesellschaftliche Erwartungen erfüllen, aber nicht sich selbst.

Meine Erfahrungen: Eine persönliche Reise durch das Labyrinth des Körperdrucks

Meine eigene Geschichte als Heranwachsender und jetzt erwachsener Mann spiegelt die Komplexität des Themas wider. Von meinen Eltern und Großeltern hörte ich oft, ich solle mehr essen und sei zu dünn, obwohl ich mich selbst nicht so empfand. Im Gegenteil, es gab Zeiten, in denen ich glaubte, zu dick zu sein.  Sport war für mich lange Zeit kein Thema, was zum Teil durch negative Erfahrungen im Mannschaftssport und im Sportunterricht bedingt war – ein Schicksal, das viele schwule Männer teilen, die Ausgrenzung und Gewalt erlebt haben. Auch wenn ich als Junge das Turnen für mich entdeckte, mied ich mit Beginn der Pubertät Umkleidekabinen – aus der Erfahrung, dort Opfer homophober Angriffe sein zu können. Sport war dann eine sehr lange Zeit kein Thema in meinem Leben.

Erst im Studium, nachdem ich Gewicht zugelegt hatte und andere Männer mich darauf ansprachen, begann ich, mich intensiver mit meinem Körper zu beschäftigen. Die Kritik traf mich tief, und aus der Furcht vor Ablehnung fing ich an, meinen Körper zu verändern. Während der Pandemie verlor ich 10 Kilogramm und begann exzessiv Sport zu treiben. Mein Ziel war es, Körperfett zu verlieren und Muskeln aufzubauen. Dieses neue Selbstbild brachte zwar körperliche Verbesserungen und Anerkennung, doch der psychische Preis war hoch. Ich ließ soziale Kontakte schleifen und verfolgte ein rigides Ernährungs- und Trainingsregime. Es fiel mir schwer, mit Freund:innen gemeinsam spontan was essen zu gehen. Viele Lebensmittel empfand ich als kategorisch ungesund. Anstatt dann diese für mich „unsinnigen“ Lebensmittel zu mir zu nehmen, aß ich lieber nichts. Und das, obwohl ich eigentlich gerne mit meinen Freund:innen gemeinsam esse. Meine Angst, fett zu werden oder aber bereits als fett wahrgenommen zu werden, war jedoch größer.

Die Suche nach Normalität als schwuler Mann

Das Gefühl, alleine zu sein und nicht der Norm zu entsprechen, ist eine zutiefst einsame Erfahrung. Als junger, heranwachsender schwuler Mann fühlte ich mich oft als „nicht normal“, ein Eindruck, den mir meine Umgebung widergespiegelt hatte. In einer Gesellschaft, die von Normen und Erwartungen geprägt ist, ist dieses Empfinden für queere Menschen leider allzu oft Realität. Das Bewusstsein, neben meiner Sexualität weitere „Makel“ zu besitzen, die mein Leben erschweren, erfüllte mich mit großer Sorge. Ich strebte danach, bloß nicht aufzufallen. Erfahrungen mit Mobbing und Hasskriminalität aufgrund meiner Sexualität verstärkten meinen Wunsch, wie ein „normaler“ Mann aussehen und wirken zu wollen.

Die Herausforderungen des schwulen Datings

Auch heute noch leben viele queere Menschen, selbst in Ländern wie Deutschland, im Verborgenen. Dies beeinflusst das Miteinander unter schwulen Männern. Als begehrenswert gelten oft jene, die dem Idealbild von Männlichkeit entsprechen. Feminine, übergewichtige oder auf andere Weise aus dem üblichen Raster fallende Personen haben es beispielsweise schwerer, Dates oder gar Beziehungen zu finden. Im Gegensatz zu heterosexuellen Konstellationen findet das schwule Daten fast ausschließlich abseits der Öffentlichkeit statt. Ein Flirtversuch mit einer attraktiven und sympathischen Person in einem Café könnte im schlimmsten Fall zu einer gewalttätigen Konfrontation führen. Denn viele Männer, die selbst auf unterschiedlichste und teilweise übergriffige Weise Frauen ansprechen, fühlen sich unwohl, wenn sie von einem anderen Mann begehrt werden. Daher hat sich das schwule Dating heutzutage stark ins Internet verlagert. Dort entscheiden letztlich Profilbilder über Sympathie oder Ablehnung. Wer sich in Großstädten wie Berlin auf einer schwulen Dating-App wie Grindr einloggt, sieht oft vor allem durchtrainierte Körper, häufig ohne ein erkennbares Gesicht im Profil. Die Darstellung ist somit stark auf Körperlichkeit reduziert. Und jene, die den Anforderungen eines gesunden, jungen und attraktiven Körpers nicht entsprechen, fallen raus.

Lange sehnte ich mich nach Stabilität und Halt in einer Beziehung, um mit einem Partner gemeinsam eine Art von Normalität zu erleben. Doch diese Sehnsucht blieb mir bis in meine Zwanziger verwehrt. Lange Zeit machte ich mein Aussehen dafür verantwortlich, bis ich erkannte, dass nicht ich das Problem bin, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben.

Der Anstieg von Schönheitseingriffen und der Weg zu einem gesunden Umgang

Die steigende Zahl von Schönheitseingriffen bei Männern verdeutlicht, dass der Druck, einem Idealbild zu entsprechen, real ist. Ob Haartransplantation in der Türkei oder eine Nasenkorrektur – auch Männer versuchen, sich nicht erst seit gestern chirurgisch aufzubessern. Dabei sind Operationen an sich nichts Schlechtes. Aber wir sollten uns fragen, warum diese unternommen werden. Wenn die Gesellschaft uns nicht Unsicherheiten einreden würde, wären Filler und Botox dann so beliebt? Und am Ende des Tages sind es auch Unternehmen und Personen, die viel Geld daran verdienen, uns diese Unsicherheiten einzureden und daran zu profitieren.  Es ist entscheidend, einen gesunden Umgang mit diesen Herausforderungen zu finden. Und das ist möglich. Der erste Schritt ist, sich mit Menschen zu umgeben, die Selbstakzeptanz fördern und praktizieren. Communities sollten Vielfalt feiern und toxischen Einflüssen entgegenwirken.

Fazit: Bewusstsein schaffen und Lösungen suchen

Die Auseinandersetzung mit dem Körperbild bei jungen Männern verdeutlicht, dass der Druck, bestimmten Erwartungen zu entsprechen, tiefgreifende psychische und physische Auswirkungen haben kann. Es ist an der Zeit, sich dieser Herausforderungen bewusst zu werden und aktiv nach Lösungen zu suchen. Aber auch die Verantwortlichen und Profiteure der Schönheits- und Gesundheitsindustrie müssen in Verantwortung genommen werden. Es ist an der Zeit, dass die Andrew Tates dieser Welt nicht länger ihren Lebensunterhalt damit verdienen, jungen Männern Unsicherheiten einzureden. Eine gesellschaftliche Veränderung hin zu einem gesünderen und vielfältigeren Körperbild ist unabdingbar. Nur so können junge Menschen ein erfülltes Leben führen – frei von den Fesseln unrealistischer Perfektionsbilder.

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Interview mit Cindy Fuchs von cndrll_design

Beitrag aus der Redaktion

@in_cogito.de

Cindy ist OP Schwester und Illustratorin. Ihre Zeichnungen sind Motive, die Körper in allen Formen, ohne Filter und ohne Idealisierungen zeigen. Es sind echte Körper, von echten Menschen- warum Cindy diese Figuren (so) malt und wie Zeichnen die Sicht auf Körper verändern kann, was Disney damit zu tun hat und wie du im Alltag vor dem Spiegel und mit Papier und Stift für mehr Selbstwertschätzung & Achtsamkeit sorgen kannst, liest du hier.

Mit meinem Gekritzel, wie ich es nennen würde, versuche ich wiederzugeben, was mir im Alltag begegnet und das ungefiltert.  Die Figuren haben auch immer etwas mit mir zu tun, mit den Menschen, die mich umgeben. Und sie zeigen oft die Themen, die die Menschen bewegen. Ich versuche dem Raum zu geben. Egal wie klein die Figur ist, hat sie doch seine Daseinsberechtigung. Es sind ganz normale Charaktere und geben mir aber ganz wichtigen Input für mein eigenes Wachstum.

Weil ich das Idealbild, dass es gibt aufbrechen möchte und weil ich zeigen möchte, dass jede:r super ist. Mein Anliegen ist, dass das Vergleichen aufhört. Keiner geht den Weg, den du gehst und keiner trägt das Päckchen, das du trägst. Und dafür musst du dich nicht schämen.

Ich war schon immer übergewichtig und habe sehr gestruggelt mit mir und meinem Körper. Das kam vor allem durch die Gesellschaft. Alle in meiner Familie waren sehr schlank und sportlich. Die Akzeptanz aller Anderen ist mir erst dadurch bewusst geworden, als ich gelernt habe, mich selbst zu akzeptieren.

Ich habe meinem Gegenüber oft die Vorurteile unterstellt, die so über Mehrgewichtige kursieren und bin davon ausgegangen, dass Andere mich automatisch aufgrund meines Gewichts ablehnen und abwerten. Heute weiß ich, dass das meine eigenen Unsicherheiten waren, die ich auf andere projiziert habe: Wenn ich schon kritisch mit mir bin, vermute ich auch im Äußeren nur Kritik an mir. Es kam immer zuerst mein Übergewicht und dann alles andere. Das hat sich jetzt gewandelt und all meine andere Aspekte stehen vorne: Ich bin eine Tochter, Schwester, Freundin, Partnerin, OP-Schwester, ich zeichne gerne, ich gehe gerne wandern und so weiter. Früher habe ich immer gesagt: „Ich bin dick, aber…“. Heute sage ich: „Ich bin dick.“

Außerdem war ich früher eine People Pleaserin und habe immer zu allem ja gesagt. Ich dachte, wenn ich nein sage, werde ich abgelehnt. Heute weiß ich, dass ein Nein ein Ja zu mir ist. Ich habe für mich erkannt, dass die Leute meinen Wert nicht an dem messen, was ich für sie mache, sondern was ich für mich mache. Denn alles, was ich für mich mache und mir gebe, dass strahle ich nach Außen aus.

Der Wendepunkt war mein Ehemann, den ich mit 18 kennengelernt habe. Der hat mir das Gefühl gegeben, ganz andere Dinge in mir zu sehen und strahlen und wirken zu lassen. Z.B. mein Humor und meine liebevolle Art und er wird nie müde, mir das täglich zu sagen, oder mir zu zeigen, wie wichtig ich bin und das ungeachtet dessen, wie sehr ich mich (körperlich) verändert habe. Ohne ihn wäre ich vielleicht immer noch in einem Schneckenhaus und nicht präsent. Ich hätte mich verurteilt und hätte weder mir, noch anderen Akzeptanz schenken können. So einen Menschen wünsche ich jedem Menschen und wenn es gerade niemanden gibt, muss man das vielleicht mal für sich selbst sein.

Ich lerne durch das Zeichnen mich besser zu akzeptieren.

Ich hatte, wie gesagt, schon immer einen größeren Körper. Beim Zeichnen gibt man Dingen einen Raum und das meine ich wörtlich. Als ich jung war, war mir dieser Raum mit meinem Körper nicht gegeben. Ich habe versucht in Sachen zu passen, die nicht zu mir passten.

Früher habe ich Disney Prinzessinnen gemalt, das waren meine Heldinnen. Heute male ich ganz normale Frauen, die es wert sind gesehen zu werden und Raum zu bekommen. Am Anfang fiel mir das gar nicht so leicht, denn viele Modelle und Vorlagen, an denen man das Zeichnen von Körpern lernt, entsprechen einer Norm und sind nicht individuell. Ich musste erst einmal lernen, andere Körper zu zeichnen. Dafür muss man Körper genau und wertfrei betrachten, um sie natürlich und echt darstellen zu können.

Definitiv. Anstatt dass ich Körper einem Bild anpasse, passe ich heute ein Bild den Figuren an und gebe ihnen den Platz, den sie brauchen. Früher saß ich vor meinen Bildern und wollte so sein wie die Disney Prinzessinnen, die ich gemalt habe. Heute denke ich, wenn ich zeichne: Das bin ich. Ich gebe anderen nicht mehr die Macht mich zu definieren.

Ich habe das Wohlfühlen mit mir und meinem Körper gelernt. Ich weiß, wo ich meine Speckrollen und meinen dicken Bauch habe und es ist auch in Ordnung, wenn sich das nochmal ändert.

Vieles, was wir unterbewusst über uns denken und wie wir mit und sprechen, wirkt sich auf unser Selbst- und Körperbewusstsein aus. Das gilt vor allem für negative Gedanken: Durch Vergleiche mit Anderen, findet unsere innere Kritikerin immer wieder etwas an uns, was schlecht(er) abschneidet und wir fühlen uns schlecht.

Beim Positiven ist es anders herum: Man muss sich ganz bewusst sagen, dass man sich gut findet und dann kommt es irgendwann im Unterbewusstsein an und man kann dem vertrauen und fühlt es.

Wenn man es sich zum Beispiel zur Aufgabe macht, jeden Tag etwas Schönes an sich finden und anzuerkennen, dann summiert sich das mit der Zeit und man erkennt, was für eine tolle Person man ist. Das ist harte Arbeit, jeden Tag und da gehört auch Scheitern dazu. Da ist es gut, nachsichtig mit sich sein und sagen: „Den Tag hake ich ab, und probiere es morgen noch einmal.“

In der Kunst und Mathematik gibt es Formeln, um Schönheit auszurechnen und darzustellen zu können, z.B. den goldenen Schnitt. Aber ich finde das nicht passend für Dinge, die eine Seele haben und lebendig sind. Schön ist keine Tatsache, sondern ein Gefühl.

Schönheitsideale gibt es ja schon sehr lange, das zieht sich auch durch die Kunstgeschichte: Ein Künstler hat eine Frau, die er schön fand, auf eine Leinwand gemalt und irgendwo aufgehängt und plötzlich dachten alle, dass das der Schönheitsstandart ist und haben sich schlecht gefühlt, wenn sie dem nicht entsprochen haben. Das findet sich heute in den Schönheitstrends wieder. In den letzten 100 Jahren war alle zehn Jahre etwas anderes modern, bzw. galt als neues Schönheitsideal. Da kommt keine:r mit und kein Körper kann sich diesen Idealen (so schnell) anpassen bzw. ist überhaupt gemacht dafür. Schönheit in der Öffentlichkeit wird oft einfach hergestellt. Man könnte ja auch selbst diejenige sein, die sagt: „So, das ist jetzt schön!“ Und dann wäre das auch eine unumstößliche Tatsache, an der niemand etwas machen kann.

Immer wenn ich etwas für mich machen kann. Wenn ich Dinge ganz bewusst machen kann und zwar nur für mich.

Hab keine Angst. Hab Geduld und vertrau dir selber. Du bist definitiv stark genug, um die Dinge zu tragen, die auf dich warten. Egal, welche Veränderung man durch macht, ist es gut, wenn man sich die Zeit gibt, diese Veränderung zu spüren.

Zeichne, ohne, dass du etwas schön finden möchtest. Mein Gekritzel zum Beispiel soll nicht schön aussehen, sondern ein Wohlfühlgefühl vermitteln.

Man kann sich ja auch mal selbst zeichnen, ohne den Anspruch, dass es realistisch sein soll. Zeichne dich einmal und fange mit dem an, was du an dir am liebsten magst und male das groß und dann malst du dich Stück für Stück. Und dann fängt es vielleicht an, dass sich die Proportionen angleichen, oder du Dinge an dir anders wahrnimmst.

Man muss ausprobieren und mutig sein und wenn man ganz unzufrieden ist, dann muss man eben von vorne beginnen. Und seine eigenen Blickwinkel hinterfragen.

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Julia Steppat

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