Quelle: Stefan Schwope

Wie der Sport und ich wieder Freunde wurden

Quelle: privat

Als Jana anfängt, Sport wieder für sich zu machen, und nicht für einen „perfekten“ Körper, findet sie wieder Freude daran. Hier kommen ihre Tipps!

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Als Kind bin ich regelmäßig zum Leichtathletik und Turnen gegangen und habe später mit Fußball angefangen.  Ich habe Sport geliebt, war jedoch nie eine der Besten. Je älter ich wurde, desto mehr wurde Sport durch den ständigen Vergleich mit anderen für mich zu einem Wettkampf. Ich habe mich immer mehr angestrengt, um besser zu sein als alle anderen. Mein Fokus lag nur noch auf Leistung und nicht mehr auf dem Spaß. Sport wurde für mich zur Hölle. Ich wollte mich nicht ständig schlecht fühlen und für meinen Körper schämen, weshalb ich mit dem Sport aufgehört habe.

Daraufhin nahm ich sehr viel an Gewicht zu und meine Lebensfreude verschwand mit jedem zusätzlichen Kilo mehr. Irgendwann habe ich wieder Sport gemacht, um abzunehmen. Aber auch das wurde durch Gedanken über mein Aussehen beim Sport und meine Leistung geprägt.

Ich habe mich jedes Mal wie auf einem Präsentierteller gefühlt – hilflos, klein und schwach. Spaß? Fehlanzeige. Alles drehte sich nur noch darum den anderen zu zeigen, dass ich doch sportlich bin und auch mit mehr Gewicht mithalten kann. Doch innerlich war ich davon überzeugt, dass ich es nicht kann. Ich habe an mir und meinen Fähigkeiten gezweifelt, mich für mein Übergewicht geschämt und wollte am liebsten bei jeder Sporteinheit im Boden versinken.

Meine größte Motivation war es, durch Sport den „perfekten“ Körper zu bekommen, wie das Model in der Sportzeitung. Aber ganz egal wie ich aussah, ich hatte das Gefühl, dass ich mich mehr anstrengen und vor allem mehr abnehmen muss, um Anerkennung für meine Leistung zu erhalten.

Quelle: Stefan SchwopeQuelle: Stefan Schwope

Erst als ich Yoga für mich entdeckt habe, habe ich plötzlich gemerkt, dass es gar nicht darum geht zwei Stunden im Fitnessstudio ein Workout zu machen, sondern darum Spaß zu haben, etwas für seine Gesundheit und den Körper zu tun.

Die Meinung anderer über meinen Körper und meine Fähigkeiten rückten plötzlich in den Hintergrund. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich wieder Freude daran, meinen Körper bewusst wahrzunehmen ohne das Ziel zu haben, perfekt zu sein oder abnehmen zu müssen. Ich habe so endlich eine gesunde Motivation zum Sport entwickelt. Durch Bewegung und Sport lernte ich, meinen Körper für das zu lieben was er kann, anstatt ihn dafür zu hassen, was er nicht kann. Durch diese Erfahrung stieg auch meine Lebensfreude wieder.

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Was ist der Unterschied zwischen Bewegung und Sport?

Als Bewegung wird jede physische Aktivität bezeichnet, die wir im Alltag machen. Beispiele dafür sind Spaziergänge, Tanzen, Fahrrad fahren aber auch Hausarbeit. Sport ist gekennzeichnet durch eine höhere physische Intensität als Bewegung.  Zu sportlichen Betätigungen kann zum Beispiel Joggen, Fußball, Workouts und Turnen gezählt werden.
Während Sport oft das Ziel hat, den Körper zu verändern oder leistungsfähiger zu machen, ist Bewegung etwas Essentielles und Natürliches. Schon die Neandertaler nutzten Bewegung als Mittel für die Jagd oder zum Sammeln von Beeren und Kräutern. Ohne Bewegung wären sie nicht überlebensfähig gewesen. Sport wie wir ihn heute kennen, gab es da noch nicht. Sie waren nicht auf Fitnessstudios angewiesen, da sie auch ohne genug Bewegung bekamen.

Bewegung tut gut

Heute werden uns die meisten Aktivitäten durch Technologien oder moderne Fortbewegungsmittel abgenommen und auch in Jobs und Freizeit kommen wir mehr und mehr ohne Bewegung aus. Das führt zu steigendem Bewegungsmangel.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat herausgefunden, dass Bewegungsmangel auf der ganzen Welt weiter verbreitet ist denn je. Deutschland schneidet hier besonders schlecht ab, da sich nur 42,2% der Bevölkerung ausreichend bewegt. Laut Definition der WHO bedeutet das mindestens 150 Minuten moderaten Sport in Form von Gassi gehen, Tanzen oder Hausarbeit oder 75 Minuten intensive Bewegung, wie Teamsport, Joggen oder Fahrrad fahren. Alle Angaben beziehen sich auf eine Woche.

Als ungefähre Richtlinie für ausreichende Bewegung werden 10.000 Schritte pro Tag empfohlen. Doch warum bewegen sich immer weniger Menschen ausreichend, obwohl die Sportangebote steigen und auch das Wissen und die Wichtigkeit von Bewegung in den Medien immer mehr thematisiert werden?

Einer der Gründe für Bewegungsmangel ist besagter technischer Fortschritt. Außerdem zeigen uns die Medien ein immer unnatürlicheres Bild von Sport. Es wird mit harter Arbeit, Willenskraft und großem Zeitaufwand assoziiert. Ein Ideal wird erschaffen, das für viele Menschen  ohne hohen Einsatz unmöglich zu erreichen ist. Das führt zu Frustration und langfristig zu weniger Motivation.

Dabei gibt es viele Gründe, Bewegung in den Alltag einzubauen. Bewegung und Sport haben für Menschen aus allen Altersklassen körperliche und psychische Vorteile. Bewegung fördert die Gesundheit unseres Herz-Kreislaufsystems, stärkt unser Immunsystem, kann Übergewicht, Verspannungen, Verdauungsprobleme, Diabetes und sogar Krebs vorbeugen. Bewegung wirkt sich außerdem positiv auf dein Selbstwertgefühl, deine Stimmung und Konzentration aus und kann sogar Depressionen vorbeugen. Ein gesundes Maß kann auch Müdigkeit, Energielosigkeit und Antriebslosigkeit verringern. Ein weiterer Vorteil ist, dass man durch Sport auch neue Leute kennenlernen und sich mit ihnen austauschen kann. Bei mir hat Sport vor allem zu mehr Selbstliebe und Selbstannahme geführt. Ich lernte meinen Körper anders wahrzunehmen und ihn zu schätzen.

Warum Bewegung eher Freiheit als Zwang bedeutet

Wir sehen Sport oft als Mittel an, um abzunehmen oder unseren Körper zu verändern – mir ging es ja selbst so. Dabei vergessen wir oft, dass es außerdem ein Weg ist, uns mit unserem Körper zu verbinden und für ihn zu sorgen. Erst wenn wir in unserer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind, beispielsweise durch Krankheiten, fehlende Zeit für Sport oder durch räumliche Einschränkungen, merken wir, wie sehr wir auf Bewegung angewiesen sind und welche positiven Auswirkungen sie auf unseren Körper hat.

Dadurch, dass wir die Möglichkeit haben unseren Körper zu bewegen, sind wir frei. Frei in vielen unserer Entscheidungen und Möglichkeiten. Bewegung ist ein Privileg, welches wir nutzen sollten.

Sport hat mich von der Abwertung meines Aussehens befreit. Mir hat Yoga vor allem gedankliche Freiheit gegeben. Durch das achtsame Beobachten meiner Gedanken habe ich die Möglichkeit meine Gedanken zu hinterfragen und zu verändern. Es kann dir die Freiheit geben herauszufinden wer du bist und was du magst. Durch die unzähligen sportlichen Möglichkeiten kannst du frei entscheiden welcher Sport zu dir und deinen Bedürfnissen passt. Zwang entsteht, wenn wir in dieser Freiheit eingeschränkt sind. Beispielsweise durch den Einfluss von Eltern oder Freunden, die uns „vorschreiben“ welchen Sport wir ausüben sollten, durch die Medien, die ein unnatürliches und meist unerreichbares Körperbild darstellen und durch uns selber, indem wir uns ein zu hohes Ziel setzen.

 Wie ich seitdem Bewegung in meinen Alltag integriere

Inzwischen ist Bewegung und Sport wieder ein wichtiger und nicht mehr wegzudenkender Teil in meinem Alltag. Es gibt keinen festen Plan, wann ich zum Sport gehe oder wie viel ich mich bewege, denn die Entscheidung überlasse ich zu 100 Prozent meinem Körper. Ich bin in einem Fitnessstudio angemeldet, das verschiedene Kurse wie Yoga, Zumba, Workouts, Spinning, Fußball oder Volleyball anbietet. Dadurch kann ich entscheiden, wann und worauf ich Lust habe. Allerdings suche ich mir wirklich nur Kurse aus, die zu meiner Leistungsfähigkeit passen und die mich gut in meinem Körper fühlen lassen.

Don’t think about it, just move your body.

In Zeiten, in denen ich weniger Zeit habe für Sport, versuche ich trotzdem mich regelmäßig zu bewegen. Das kann bei einem kurzen Spaziergang sein, indem ich das Fahrrad anstatt das Auto benutze oder aber ich mache mein absolutes Lieblings-Gute-Laune Lied an und tanze ausgelassen durch die Wohnung. Denn wie Meghan Trainor in meinem Lieblingslied singt „Don’t think about it, just move your body“.

Aber auch ich habe natürlich wie jeder andere Mensch auch manchmal überhaupt keine Lust mich zu bewegen oder Sport zu machen, sondern einfach mit Chips auf der Couch zu sitzen und einen Film zu gucken. Und das ist in Ordnung. Wie gesagt, Bewegung sollte etwas sein, das dir Freude bereitet und dich wohlfühlen lässt. Der Unterschied zu früher ist, dass ich mich nicht mehr schuldig fühle, wenn ich mal keine Lust habe, denn ich weiß, dass ich höchstwahrscheinlich in den nächsten Tag wieder mehr Motivation haben werde.

Und jetzt wünsche ich dir ganz viel Freude beim Ausprobieren!

5 Tipps wie du Bewegung in deinen Alltag integrieren kannst

Einen Tipp, den ich dir geben kann ist: Ausprobieren. Gerade am Anfang ist es schwierig einen Sport zu finden, der einem wirklich Spaß macht oder zu wissen, wie viel Bewegung für dich gut ist. Durch Ausprobieren wirst du immer besser darin. Vielleicht hast du, als du jünger warst etwas gemacht, was dir sehr viel Freude bereitet hat.

Egal ob das Trampolin springen, Inliner fahren, Schwimmen gehen, Federball spielen oder auch Fahrrad fahren war, probiere es heute einfach mal aus. Je mehr du ausprobierst, desto eher findest du den Sport der zu dir passt. Ein paar weitere Ideen sind Basketball spielen, Seil springen, Wandern, Ski fahren im Winter oder Surfen. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt! Ich freue mich schon sehr darauf, in den nächsten Monaten neue Sportarten auszuprobieren. Ganz oben auf meiner Liste stehen Skateboard fahren, Tennis und Bouldern (Klettern ohne Sicherung).

 

Beziehe deine Fähigkeiten mit in die Wahl eines geeigneten Sports ein. Vielleicht bist du besonders gut im Laufen, weshalb Fußball, Leichtathletik oder Joggen das Richtige für dich sein könnten. Wichtig ist außerdem, dass du herausfindest, ob du eher ein Teamplayer oder ein „Einzelkämpfer“ bist. Während du unabhängiger von anderen bist, wenn du alleine trainierst, kann es deine Motivation und den Spaß steigern, zu festen Zeiten in einer Mannschaft oder Gruppe zu trainieren. Auch eine Kombination aus beidem ist möglich.

Auch online gibt es viele Angebote, wie zum Beispiel Yoga mit Mady Morisson, Tanzworkouts mit TheFitnessMarshall oder Workouts für Anfänger von AnneBodykiss und Pamela Reif. Für mich können allerdings Online-Workouts ein Trigger für Selbstzweifel und negative Gedanken sein. Zu sehen wie sportlich oder schlank die Instruktor in den Videos sind, führt häufig dazu, dass ich mich und meine Fähigkeiten mit ihnen vergleiche. Dann mache ich mir klar, dass hinter ihren Körpern und Fähigkeiten ein Lebensstil steckt, den sie wahrscheinlich schon seit Jahren verfolgen. Ich muss nicht mit ihnen mithalten können. Außerdem waren mir häufig selbst Anfänger Online-Workouts zu intensiv. Entweder habe ich dann meine eigene, einfachere Variante der Übungen gemacht oder nur einen Teil, bestehend aus Übungen die mir Spaß machen, gemacht.

Ich bin mir sicher, dass, sobald du etwas findest, das dir wirklich Spaß macht, die Motivation wie von alleine kommt. Fang am besten langsam und achte darauf wie dein Körper reagiert. Wichtig ist, dass Sport und Bewegung in einem für dich gesundem Maß praktiziert werden sollten. Sowohl zu viel als auch zu wenig Sport kann einen negativen Einfluss auf deine Gesundheit haben. Aus dem Grund ist es wichtig, dass du auf deinen Körper hörst, der dir meistens zeigt wie viel Sport dir gut tut. Ich schließe für mich inzwischen jegliche Form von exzessivem Sport  und Leistungssport aus. Für mich ist und bleibt Sport ein Hobby, dass ich in meiner Freizeit praktizieren möchte.

Meiner Meinung nach ist das Wichtigste, dass du aufhörst an die ganzen Fitness-Mythen zu glauben. „Sport ist Mord“, „no pain, no gain”, „Unter 30 Minuten bringt Ausdauertraining nichts”, “Für Yoga muss man flexibel sein”, “Ich sollte mindestens vier Mal pro Woche Sport machen, um abzunehmen.“ „Es gibt nur einen richtigen Weg, Kraftsport zu machen“. All das ist totaler Quatsch. Sport ist vielfältig, genau wie jeder einzelne von uns. Finde deinen Weg und lass dir von niemandem (auch nicht von dir selbst) einreden, dass du etwas nicht schaffen könntest. Sport ist für dich und deine Gesundheit, nicht um irgendeine Bestleistung zu erzielen. Du darfst Spaß an Sport haben ohne dich schlecht zu fühlen für deinen Körper oder deine Fähigkeiten. Du bist gut so wie du bist.

 

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Nadine

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Alles Liebe, Deine Incogito-Redaktion.

Quelle: Marie Böse

Zurück ins Sein

Quelle: privat

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Wir schreiben das Jahr 2017: eine 30-tägige Reise nach Schweden, in Beziehung mit einem Musiker

Schweden… 30 Tage Natur, 30 Tage durchatmen, 30 Tage das klare Nass der eiskalten Seen, das Lagerfeuer in den rosa Morgenstunden, der köchelnde Tee. Wanderungen zwischen Moor und Moos, zwischen Farn und Fels. Das Lagerfeuer in den goldenen Abendstunden, die Süßkartoffeln in der Glut, der Blick in die Ferne auf das klare Nass.

Nächte im Heu, Nächte im satten Grün. Du und ich, eine Liebe verbunden durch Natur und Musik, durch Kunst und Krankheit. Mein Gewicht, eine Zahl die mich begleitete, eine Zahl die es unmöglich schienen ließ die Reise zu überleben, in Haut und Knochen gekleidet. Ein Schatten meiner Selbst, eine Hülle grau und kraftlos und dennoch so unendlich, so unfassbar stark und stur. Ein Kampf gegen mich selbst.

Rückblick: der Beginn des Achtgebens in Bezug auf meine Nahrung

Ich war noch ein Kind, gerade sechs Jahre alt geworden. Diagnose: Pilz im Magen, gefüttert und verbreitet durch den Konsum von Zucker, hieß es. Es begann: die erste Maßnahme auf meine Ernährung Acht zu geben, Verzicht zu üben. Der Pilz verschwand unter Kontrolle. Ich wurde älter, vergaß den Pilz und machte mir vorerst keine Gedanken mehr. Meine Zeit als Teenager verbrachte ich zwischen Chips und nur der nötigsten Bewegung.

Dann: mein erster Freund. Ärztesohn. Fassade eines Modells. Ein Urlaub auf Borkum mit seinen Eltern. Sein Vater warf mir dann auf der schönen Insel Borkum, zwischen Moor und Dünen, ungefragt an den Kopf, dass mich Übergewicht kleidete. Schlagartig hörte ich auf zu essen. Seine Worte wurden zu meiner Wahrheit, zu meiner Wahrnehmung. Zurück zu Hause begann meine erste Diät. Haferflocken, Honig und Obst am Morgen und Spargel zu Mittag.

Mit der Anmeldung im Fitnessstudio trat ich dann meine Reise in das Leben zwischen Kontrolle und der Angst vor dem Verlust dieser an. Zwischen Ernährung, der intensiven Auseinandersetzung damit und unachtsamem Training. Nach meinem Fachabitur und der Trennung des Ärztesohnes fand ich mich im Theater wieder, baute Bühnen, nahm die Assistenz einer Regie an, trieb weiter Sport und genoss die Zeit mit den Menschen an meiner Seite. Ich achtete auf meine Ernährung diesmal anders, intensiver. Fitnessmodels schlichen sich als Vorbilder in meine Gedankengänge. Dann verlor ich den Genuss und begann Essen in Mathematik umzuformen. Einmal die Woche entwickelte sich aus Mathematik Kontrollverlust und Unvernunft. Ein Tag, an dem ich es zuließ Zuckerbomben in mich hinein zu lassen. Cheatday. Ich baute eine Fassade auf, Ziegelsteine aufeinandergesetzt, aufgesetzt. Ich begann mir eine Maske zu kreieren, verklebt und verspachtelt, verzierte sie nur mit den schönsten Steinchen und Federn.

2016 : ein Jahr zwischen Theater und Bühnenbau, Sport und Missachtung meines Körpers, erste Untersuchungen

Mein Körper wurde schwächer, mein Blut verlor die Kontrolle und ich mitten drin. Erste Diagnose: Verdacht auf Knochenmarkkrebs. Da saß ich nun, in der Onkologie, bemitleidet von zwei älteren Herren, die der Krebs bereits eingenommen hatte.

Drei Monate späte: kein Krebs. Es begann eine Untersuchung nach der anderen, ein Krankenhaus nach dem nächsten, ein Arzt, der es besser wusste als der nächste und ich mitten drin. Ich flüchtete mich in die nächste Liebe und rutschte ab, rutschte tief und weit. Ich begann mich zu verlieren. Verlor mich in dieser Seele, in dieser Liebe und in Marihuana. Es begann eine Zeit des unaufhaltsamen Treibenlassend, eine Zeit in der ich mich halbierte und die Übelkeit unaushaltbar wurde. Ich zog mit ihm, dem freien und doch so klammernden Musiker in das Haus seiner Mutter. Wir lebten mit ihr unter einem Dach, mein Herz wurde schwer, meine Augen trüb und meine Lebensfreude verbarg sich unter einem grauen Schleier, der sich über das ganze Haus zu legen schien. Ich bemerkte es selbst nicht, hatte jedes Gefühl für das Außen verloren – und da war er, ein Spiegel , golden verziert, stehend in meinem kleinen Atelier, in den ich schaute und mich fragte wie das nur passieren konnte. Jeden Tag fiel ich mehr zusammen, wurde grauer und schwächer. Entzog mich jedem Kontakt, nur er, er durfte bei mir sein.

Die regelmäßigen Arzttermine seit meiner ersten Diagnose waren geprägt von Vermutungen, von Angst und Hoffnung. Es schlich sich das Gefühl ein, auf der Suche nach Licht zu sein, umhüllt und erfüllt von Dunkelheit. Ich gab die Arbeit im Theater auf und plötzlich fand ich mich auf dem Hof seiner Tante wieder. In den Morgenstunden suchte ich Halt bei den Hühnern, half mittags der Goldschmiedin bei der Arbeit und hörte mit Hazy, der kleinen Taube auf meiner Schulter Hörbücher. Ich verlor mich am Nachmittag in der Kunst, malte, erfüllt von Sonne und Farben.

Erst der Abend sollte dem Essen gehören. Bis dahin war wieder ein Tag vergangen, an dem eine ayurvedische Hafermilch bis zum Sonnenuntergang mein System zu versorgen versuchte. Ich verspürte keine Lust, keinen Hunger kein Gefühl, keinen Sinn. Abends ging es dann, plötzlich und viel.

Meine Familie wollte ich nicht sehen, Freunde nur selten. Trüb und bekifft, mager und grau, wollte ich niemandem begegnen. Ich sah mich genau so, eingefallen und grau, sah dass mein Umgang mit mir, meinem Körper und der Nahrungsaufnahme krank war, sah wie schlimm es um mich stand und hatte dennoch keinen Willen dies zu ändern. Trotzdem begann ich eine Ausstellung vorzubereiten, mit letzter Kraft malte und zeichnete ich. Alle waren eingeladen, alle waren da, alle waren schockiert mich so zu sehen. An diesem Tag verlor ich eine weitere Ladung an Kraft und fand mich am Abend beim Lagerfeuer wieder, rauchend, trinkend und wieder hungrig.

Das Wechseln von Arzt zu Arzt, von Untersuchung zu Untersuchung ging weiter. Eine Diagnose nach der anderen wurde in den Raum gestellt. 24 Stunden Urin, Körpertemperatur, Puls am Morgen. Stress, Herzrasen und Verlust meines Blutdrucks. Mein Überleben stand in Frage. Schafgarbe und Melisse sollten nun ein Weg zur Heilung sein. Der Anthroposophische Ansatz der Naturmedizin, ließ mich hoffen. In diesem Zustand realisierte ich  meine Reise gegen  die Vernunft und in die Mooslandschaften Schwedens.

Meine Rückkehr aus Schweden und das Leben danach.

30 Tage. Wanderungen Stunde um Stunde, das Waschen in den kalten Seen und das Sammeln von Holz ließen meinen Körper kämpfen. Ich kam zurück aus den Wälder. Ich versuchte zu leben. Weitere Untersuchungen begannen erneut, das Blut floss in die Röhrchen. Die Zeit bei ihm und seiner Mutter wurde unerträglich. Ich verlor Tag für Tag mehr von mir. Ich bröckelte ab, spürte den Verlust meines Seins, hörte das Rauschen meines Blutes und die Kälte.  Ich existierte bloß. Mein Atem flach. Die Zeit verging und mein Körper kämpfte jeden Tag, um mich am Leben zu halten.

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2018: Meine Mutter holte mich zurück zu sich

Da saß ich, schlief ich, lebte ich, bei meiner Mutter im Arbeitszimmer. Weiß nicht wie ich hier hingekommen bin. Meine neues, altes zu Hause. Die folgende Zeit wechselte ich von Couch zu Couch, von Mensch zu Mensch, von Wein zu Wein. Dann fuhr ich fort, einfach weg, zu meiner Cousine aufs Land, um meine Umgebung nicht weiter ertragen zu müssen, um mich abzugrenzen von diesem Mann. Ich trank mehr, rauchte mehr, aß mehr und verlor mich, rutschte tiefer. Ich reiste zurück, immer wieder mit dem Gefühl es mit letzter Kraft getan zu haben. Zurück in der Heimat folgte eine Ausleitung von Schadstoffen, basierend  auf der Vermutung, eine Bleivergiftung entdeckt zu haben. Eine Woche verging und mein Gewicht sank. Wieder ein Missbrauch meines Vertrauens in die Medizin.

Ich wurde 21: Wir waren getrennt, ich war frei und stand vor einer Entscheidung

Dann stand es im Raum: Klinik. Nein. Krank unter Kranke, um Heilung zu finden – in diesem Augenblick , für mich ein Gefühl, dass keine Alternative zuließ. Eine solche Entscheidung ist sehr individuell und mit Vorsicht und Acht anzugehen. Ich wollte lieber allein sein. Ich wollte mich kennen lernen. Wollte mich heilen. Dieser Weg schien für mich in diesem Moment, in meiner Situation richtig zu sein. Ich zog allein in eine kleine Wohnung am Wald, isolierte mich einige Monate und versank zwischen Wein, Malerei und Reflektion. Die Nächte gehörten der Heilung meiner Seele, zwischen Staffelei, Mondschein und dem gefüllten Weinglas.

 

In Behandlung des anthroposophischen Arztes trank ich tagsüber Kannen gefüllt mit Schafgarbe, neigte zum Überfluss und floss über. Während dieser Zeit verschwand mein Arzt und damit auch der anthroposophische Ansatz in den Ruhestand, also war ich gezwungen erneut zu wechseln. Voller Vertrauen suchte ich eine Ärztin auf, die ich aus meiner Jugend kannte. Auch hier unterzog ich mich vielen Untersuchungen. Die Diagnose jetzt: Toxische Leber. Heilkräuter vergifteten mich, durch meinen unachtsamen Umgang, mein Körper war kraftloser denn je. Notaufnahme.

Dem Tode eine Hand anreichend alberte ich mit den Ärzten herum, denn egal was bis hierhin passiert war, mein Lachen hatte ich noch nicht verloren. Plötzlich geschah etwas: Ich realisierte den Ernst der Lage. Oft genug habe ich mir ausgemalt zu sterben, doch nun war ich diesem Gefühl, diesem Licht, dieser Dunkelheit so nah, dass mein Instinkt zu überleben reagierte. Mein Entschluss für mich, für mein Sein in dieser Welt, um Geschichte zu schreiben, Worte zu formen, zu formulieren und dessen Schönheit weiter zu geben stand fest. Ich suchte Hilfe. Bat um Grammangaben für meine Nahrung, denn jegliches Gefühl, jegliche Wahrnehmung einer normalen Menge war von Augenblick zu Augenblick in diesem Jahr verloren gegangen. Der Wein wandelte sich in Traubensaft, die Drogen in Lavendel. Haferflocken und Kartoffeln prägten nun die Tage, denn das Gift sollte so gezogen werden. Ich wog ab, ich begann Kontrolle zu gewinnen und verlor mich darin. Da war sie wieder, die Mathematik.

Die Heilung begann mit mir, in mir.

Die Leinwände, die mich auch durch dunkle Zeiten begleitet hatten, wurden bunt, von Licht erfüllt, die Zeichnungen von schwach zu intensiv. Die Tagebücher füllten sich mit Gedanken und Gefühlen, mit Reflexion. Die Nächte wurden kürzer und der Schlaf erholsamer, die Morgende erfüllt von Yoga und Tee.

Und dann kam der Tag, an dem ich den Mut aufbringen konnte an die vegane Schokoladenmanufaktur „Das Bernsteinzimmer“ zu schreiben,. Ein Traum, den ich mir erfüllen durfte. Ich begann, Pralinen herzustellen, Genuss und das Kreieren wiederzufinden. Heilung schlich sich ein und ich merkte, wie Gewicht und Visionen sich umarmten. Meine Werte normalisierten sich, mein Körper war erfüllt von Glück und Heilung. Ich spürte mich, spürte die Schönheit des Lebens, begann das Gefühl von Liebe zu mir und Geborgenheit neu zu entdecken und bemerkte wie Wünsche sich zu Visionen formten und Visionen zu Realität. Meine Realität.

Der Moment der Veränderung

Da stand ich, an der Bushaltestelle, ließ die Sonne meine Nase kitzeln und verspürte den Wunsch zu tanzen. Eine Woche später fand ich mich im Ballettsaal wieder und spürte erneut den Unsinn des Lebens. Ich begann zu schwimmen, begann zu genießen. Meine Wohnung eröffnete ich für Menschen, die ich wieder zu lieben lernte. Doch die Kontrolle durfte noch nicht schwinden. Sie war ein Teil von mir, irgendwie Sicherheit.

Es vergingen Momente des Entdeckens, des Lernens und Liebens, des Schreibens und des Austauschs. Eine Busfahrt, in Gedanken versunken und plötzlich war es so klar, so greifbar. Plötzlich wusste ich wohin, wusste welchen Weg ich einschlagen möchte und ich begann zu kämpfen. Eine Woche die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, geprägt von Bewerbungen, Gesprächen und Belohnung. Ich war also Studentin, eingeschrieben und angenommen: Soziale Arbeit. Ich wusste nicht wohin mit all den Glücksgefühlen, die mich plötzlich einnahmen wie tausende Insekten, die es sich zur Aufgabe machten all meine verwelkten Blumen gleichzeitig zu bestäuben, um sie in allen Farben erblühen zu lassen.

Ein weiterer Wandel folgte, ein Umzug. Eine WG. Für mich und meine Krankheit bislang unvorstellbar. Menschen – Menschen, die mich beobachten, die mich auf mein Essverhalten und die ausgiebige Auseinandersetzung mit gesunden und zugleich veganen Lebensmitteln reduzieren könnten. Eine Herausforderung, die ich annehmen wollte, um selbst zu beobachten, um Normalität zu erfahren und die Mathematik in Genuss zu verwandeln. Es begann eine weitere intensive Zeit der Selbstreflexion, des Entdeckens. Eine Zeit des Zurücksteckens, eine Zeit in der Abgrenzung zur Kunst des Lebens wurde, eine Zeit erfüllt durch Magie, durch Schönheit und Momente, erfüllt von Liebe und grenzenloser Leichtigkeit. Die Zahlen wurden unwichtig, die Liebe zum Essen, zu Genuss und dazu Kreationen zu erschaffen, stieg ins Unermessliche. Die Kontrolle fand neue Fokussierung.

Quelle: Marie BöseQuelle: Marie Böse

Wir schreiben das Jahr 2020: in Dankbarkeit und grenzenlosem Glück

Ballett, Schwimmen und Yoga bleiben ein wunderbar heilsamer Teil meines Lebens. Mittlerweile arbeite ich neben meinem Studium als Bewegungspädagogin in der sozialen Arbeit, in einer heilpädagogischen Praxis. Ich stelle Schmuck her und arbeite an künstlerischen Werken, die in Wuppertal und Umgebung Raum für Verkauf gefunden haben. Mein Körper erholte sich nach und nach von all dem was ich ihm jahrelang angetan habe. Unverträglichkeiten, Angst vor der Liebe und hormonelle Dysbalancen gehören noch zu meinem Alltag, doch meine Selbstliebe, meine unendliche Dankbarkeit und die Schönheit des Lebens strahlen golden und warm über diese kleinen dunklen Rückstände.

Ich bin nach wie vor jeden Tag erfüllt von der Dankbarkeit darüber, was mein Körper geschafft hat. Ich finde mich nun hier in meiner wunderschönen Wohnung am Waldrand wieder, der beste Freund mein Mitbewohner, ein kleines Kätzchen im Garten die Sonne genießend. Sehnsüchtig wartend auf den Frühling und all die Kräuter und Blumen. Und dann kam der Mann, der mir zeigte was es bedeutet bedingungslos, erwartungslos und vollkommen frei Liebe zu spüren und die Angst für einige Augenblicke zu vergessen.

Wir leben um Erinnerungen zu schreiben,
sie zu formulieren und deren Schönheit weiterzugeben.

Quelle: Marie BöseQuelle: Marie Böse

 

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Lisa C.

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Missbrauch als Punchline - Wie Kinofilme Vergewaltigungen und Stalking verherrlichen

Quelle: privat

Nora, 23

@thenoralie

Ein Stalker hier, eine Vergewaltigung dort – Nora ist entrüstet, wie beiläufig sexuelle und psychische Gewalt in Filmen zu Unterhaltungszwecken verharmlost wird. Ihre Gedanken dazu – und ein Schlüsselerlebnis, in dem ihr bester Freund und ihr Ex-Freund eine Rolle spielen, teilt sie in diesem Beitrag mit euch.

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Vor ein paar Jahren kam der Film Lommbock (2017) in die Kinos. Mein Exfreund und mein bester Freund wollten diesen Film unbedingt sehen und waren förmlich geschockt, als sie hörten, dass ich den ersten Teil Lammbock – Alles in Handarbeit (2001) nicht kannte. Also wurde ich kurzerhand auf die Couch gesetzt, mit Popcorn ausgestattet, damit wir direkt nachdem wir den ersten Teil auf der Couch gesehen haben, perfekt eingestimmt ins Kino gehen konnten. „Bereite dich auf den lustigsten Film überhaupt vor!“, wurde mir gesagt. Soweit, so gut. Der Film begann und ich langweilte mich etwas. Mein Humor ist das nicht, aber über Humor lässt sich streiten! Lammbock erschien mir wie ein ziemlich primitiver Stoner-Film, der vermutlich nur mit beeinträchtigter Sinneswahrnehmung zu ertragen ist.Es geht darin um zwei Jungs, die unter dem Deckmantel eines Pizza-Service heimlich Marihuana ausliefern – und selbst ihre besten Kunden sind. Der Film erscheint recht harmlos, bis zu einer Szene: Hauptdarsteller Stefan, ein sympathischer aber leicht verpeilter Jura-Student, legt sich nach einer Party zu seiner Exfreundin ins Bett und schläft der regungslosen Frau neben sich bei. Am nächsten Morgen läuft jedoch genau diese Exfreundin ins Zimmer und zwitschert fröhlich „Guten Morgen“. Stefan schaut auf die Frau, mit der er in der vergangenen Nacht geschlafen hat und bemerkt, dass es seine kleine Schwester ist. Die beiden Männer neben mir auf der Couch kringelten sich vor Lachen und ich war geschockt. Ich fragte sie, was an dieser Vergewaltigung denn so lustig sei. Die beiden hörten verdutzt auf. „Ach, Vergewaltigung. Das klingt so hart.“

Vergewaltigung, das klingt so hart.

„Der wusste halt nicht, dass es seine Schwester ist“, versuchte mir einer von beiden den vermeintlichen Witz zu erklären. Und genau das schockierte mich, denn das grob fahrlässige Vorgehen des Regisseurs und Drehbuchautors Christian Zübert, eine Vergewaltigung als Punchline auszuschlachten, hat einen gefährlich verharmlosenden Effekt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer. Liebe Leute, eine Vergewaltigung ist nicht nur dann eine Vergewaltigung, wenn das Opfer brutal überfallen wird, sondern jedes nicht-einvernehmliche orale, vaginale oder anale Eindringen in eine andere Person oder von einer anderen Person. Eine schlafende oder bewusstlose Person kann gar keine Einwilligung zu einem Sexualakt geben, somit werden wir in dieser Szene in jedem Fall Zeugen einer Nötigung bis hin zur Vergewaltigung.

Sie fanden das Thema eher lästig

Die beiden Männer hörten sich meine Erklärung an und stimmten auch zu, jedoch merkte ich, dass sie die tiefgehende Thematik eher lästig fanden – für sie hatte dieser Film eine recht primitiv-amüsante Handlung; dass dieser jetzt auf einmal so viel Gewicht zugetragen wurde, passte nicht zu ihrer Wahrnehmung. Und genau das ist so höchst problematisch. Über Vergewaltigung und Nötigung muss berichtet werden, es muss gezeigt werden, weil viele Menschen  die Häufigkeit dessen nicht vor Augen haben. Eine Vergewaltigung als stupide Pointe zu missbrauchen ist jedoch nicht nur respektlos und triggernd den Opfern gegenüber, sondern verharmlost die Tat.

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Da Lammbock ja nun bereits 2001 erschienen ist, konnten die beiden Männer mich überzeugen, mit ihnen den zweiten Teil anzuschauen.  2017 würde sowas ja nicht mehr passieren und Zübert hätte vermutlich auch in der Zwischenzeit einiges gelernt, was er als so junger Regisseur von knapp 30 Jahren 2001 noch nicht gewusst hat. Leider nein. Leider gar nicht. Hauptdarsteller Stefan, inzwischen erwachsen, relativ erfolgreich und etwas weniger vertrottelt, pendelt beruflich und privat zwischen Deutschland und Dubai und träumt seinen Tagen als Stoner nach.

Auch der zweite Teil verherrlicht Gewalt

Erneut, und dieses Mal noch überflüssiger und beiläufiger als bereits im ersten Teil, wird die damalige Vergewaltigung seiner kleinen Schwester thematisiert. Stefan ruft seinen Vater an und dieser beschwert sich, Stefan würde sich nie bei ihm melden. Selbst seine kleine Schwester würde häufiger anrufen, und „die wohnt immerhin in Australien und hat ein behindertes Kind.“

Ein recht beiläufiger Satz mit jedoch so viel Interpretationsspielraum. Dass Kinder, die aus inzestuösen Beziehungen, also Beziehungen zwischen Blutsverwandten entstehen, ein extrem erhöhtes Risikopotential für körperliche und geistige Behinderungen haben, ist medizinisch vielfach belegt. Christian Zübert schießt sich somit leider wieder komplett ins Aus – die Chance, den unmöglichen Umgang mit sexuellem Missbrauch aus dem ersten Teil aufzuarbeiten, wird bewusst verpasst. Stattdessen tritt der Film die Gewaltverherrlichung weiter breit. Und das wirklich Problematische daran ist, dass viele Zuschauerinnen und Zuschauer unbewusst eine sehr gefährliche Message verinnerlichen: sich an jemandem zu vergreifen, der schläft, ist nur dann falsch, wenn es die kleine Schwester ist.

Genau davon handelte auch unsere Diskussion nach dem Film – für mich ist der Film durch diese verherrlichte Vergewaltigung und dessen fahrlässigen Umgang unerträglich. Dies zu thematisieren, trifft jedoch auf viel Kritik – man will sich ja amüsieren! Und das Gesehene zu hinterfragen, wenn es doch so hübsch komödiant verpackt ist, ist auch einfach lästig. Leider ist genau diese Glorifizierung von Gewalt gegen Frauen ein sehr gängiges Phänomen in Popkultur. Diese Gewalt muss sich nicht zwangsläufig durch körperlichen Missbrauch abzeichnen. Auch Stalking und Belästigung werden in der Filmindustrie höchst idealisiert.

  • In Fifty Shades of Grey (2015) stalked der männliche Protagonist sein Objekt der Begierde so lange, bis sie sich ihm willentlich hingibt.
  • In Tatsächlich… Liebe (2003) verliebt sich ein Mann hoffnungslos in die Frau seines besten Freundes. Der Mann beschließt, ihr seine Liebe in dem Video von ihrer Hochzeit zu gestehen, und taucht sogar unangekündigt vor ihrer Tür auf, obwohl sie nie ihr Interesse an ihm bekundet hat.
  • In Twilight (2008) schleicht sich der männliche Hauptcharakter regelmäßig in das Zimmer der Protagonistin und schaut ihr beim Schlafen zu.
  • In Passenger (2016) erwacht ein Passagier eines Raumschiffs, das auf eine „neue Erde“ zusteuert, 90 Jahre zu früh. Er ist die einzige Person, die wach ist, und es ist unvermeidlich, dass er sterben wird, bevor das Schiff landet und alle anderen aufwachen. Aus chronischer Vereinsamung gerät der Protagonist in die Besessenheit einer Frau, die er nie kennen gelernt hat, befreit sie aus ihrem Kälteschlaf und verurteilt sie dadurch zum Tod. Die Frau spricht es sogar aus, als sie herausfindet, dass er sie absichtlich aufgeweckt hat. „Das ist Mord!“, ruft sie. Doch am Ende kommen die beiden zusammen,…

… wie auch in allen anderen hier genannten Beispielen, mit Ausnahme von Tatsächlich… Liebe, wo die Frau ihren Stalker lediglich zum Abschied küsst.

Immer wieder vermittelt diese Darstellung von romantisiertem Missbrauch, dass der Zweck die Mittel heiligt. Selbst wenn die Mittel missbräuchlich und illegal sind, so geschieht dies der Argumentation nach aus Liebe und für die Liebe. Und diese Argumente übertrumpfen scheinbar jegliches Recht und Gesetz. Der ehemalige Football-Spieler O.J. Simpson sagte in einem Interview bezüglich des Mordes an seiner Frau: „Selbst wenn ich es getan hätte, dann doch wohl, weil ich sie so sehr geliebt habe, oder?

Auch in Game of Thrones (2014) bemitleiden Zuschauer*innen Tyrion für den Mord an seiner Geliebten, Shae. Immerhin hat diese ihn ja auch verraten und er erscheint einem auf absurde Art wie ein grotesker Erlöser, wenn er sie stranguliert. Es geschieht ja aus Liebe, und Liebe ist etwas durch und durch Gutes. Leider ist genau dieser Fehlschluss folgenschwer. Denn durch die Behauptung, dass etwas aufgrund extremer Emotionen wie Liebe geschieht, entlässt man den Täter in gewisser Weise aus seiner Verantwortung

Tyrion tötet seine Geliebte Shae in Game of Thrones (2015).

Selbstbestimmtes, bedachtes Handeln wird ersetzt durch eine unbewusste Affekthandlung. Das bedeutet gleichzeitig, dass der Täter nicht mehr angemessen zur Rechenschaft gezogen werden kann. Folglich verhält man sich, als ob bei diesen, von Affekt bestimmten Taten eine gewisse Teilschuld dem Opfer anzulasten wäre, da dieses den Täter zu seiner Tat getrieben hat. Dieses Victim Blaming hat eine ähnlich gravierende Bilanz, wie die Verherrlichung der Taten an sich. Durch Beschönigung von Stalking und Gewalt wird genau das in unserer Gesellschaft gefördert und verstetigt.

Es gibt eine Reihe von Studien, die darlegen, wie schädigend der Einfluss solcher Filme auf unsere Gesellschaft sein kann. Einfach gesagt lernen Männer durch diese Filme, kein „Nein“ zu akzeptieren, sondern stattdessen die Frau durch Verführung und Überredungskunst zu einem Ja zu bewegen. Wenn eine Frau einen zurückweist, bedeutet das nicht etwa, dass diese selbstständige, eigenverantwortliche Frau ihre autonome Meinung kundtut und man dies respektieren sollte. Vielmehr wird das als Ansporn angesehen, es noch vehementer zu versuchen und wenn dabei ein oder zwei Gesetze gebrochen werden, ist das ja nur halb so schlimm, denn am Ende werden sie für ihre Mühen ja belohnt.

Auf Frauen haben diese Film den Effekt, dass sie häufiger toxisches Fehlverhalten entschuldigen und den Fehler bei sich selbst zu suchen. War ich es, die dies in ihm ausgelöst hat? Sollte ich dem Nachgeben, da er viel für mich empfindet? Aber er meint es ja sicherlich nicht böse, also sollte ich ihm einfach vergeben, richtig? Und er steht jeden Tag aus Liebe bei mir vor der Tür und bringt mir Blumen, die ich nicht möchte. Da sollte ich doch dankbar sein, richtig? Die Antwort auf all diese Fragen ist recht simpel: Nein. Eine Beziehung sollte nicht auf der Grundlage aufgebaut sein, dass man dazu weichgeklopft wurde oder man kapituliert. Es ist auch nichts Schlimmes oder gar Beleidigendes, wenn die eigenen Gefühle, sowie die Gefühle eines anderen nicht erwidert werden. Und Filme, die sich Millionen Menschen ansehen, sollte genau das auch zeigen, und nicht Straftaten und Missbrauch verherrlichen. Vielleicht könnten diese dann auch einen positiven Effekt auf unsere Gesellschaft auslösen, wer weiß?

Was wir daraus mitnehmen sollten ist jedoch, das, was wir in Filmen zu sehen bekommen, auch zu hinterfragen. Ist das wirklich so romantisch, wie ich glauben soll? Bricht er grade bei ihr ein? und Warum verliebt die sich denn jetzt in den? sind schon mal ein guter Anfang. Und wenn sich bei euch jemand nachts ins Zimmer schleicht, um euch beim Schlafen zuzuschauen, ruft ihr bitte sofort die Polizei.

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Katrin

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