Quelle: Ds Stories/Pexels

Diet-Culture: Wie gesellschaftliche Normen und Erwartungen uns beeinflussen

Beitrag aus der Redaktion

@in_cogito.de

Erst wenn ich in Kleidergröße 36 passe, darf ich zufrieden sein. Um im Urlaub im Bikini an den Strand gehen zu können, muss ich mindestens noch fünf Kilo abnehmen. Schlank macht glücklich! Kennst du diese Ideen vom Dünn = Glücklich-Ideal? Willkommen in der Diät-Kultur: Was Diet-Culture bedeutet, wie sie uns beeinflusst und wie wir freier davon werden können, lest ihr in diesem Blogpost.

 

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Was bedeutet überhaupt Diet-Culture?

„Diet-Culture“ oder auf Deutsch „Diät-Kultur“ meint die weit verbreitete gesellschaftliche Annahme, dass ein dünner, schlanker Körper automatisch mit Gesundheit, Glück und Erfolg verbunden ist. Also: Je dünner, leichter, athletischer ich bin, umso glücklicher bin ich. Dass das nicht sein kann, ist eigentlich kein Geheimnis, denn dann wären ja im Umkehrschluss alle dünnen Menschen glücklich. Und dass das nicht der Fall ist, dafür hat wahrscheinlich so ziemlich jeder ein Beispiel parat.

Wir sprechen von Diät-Kultur, weil dieses Phänomen verschiedenste Haltungen, Erwartungen und Normen rund um Ernährung und Körperideal zusammenfasst. Dazu gehören der Glaube daran, dass jeder Mensch mit irgendeiner der tausend Diät-Formen abnehmen kann, Programme rund ums Abnehmen und auch die Verherrlichung eines bestimmten Körperideals (was hier zur Zeit der weiße, sportlich-schlanke Körper ist).

Das Problem mit Diet-Culture

Diet-Culture beeinflusst unsere Einstellung zu unserem eigenen Körper permanent und auch ohne, dass wir das bewusst wahrnehmen. So werden dafür wie wir auszusehen haben seit jeher gesellschaftliche Standards gesetzt, die für die meisten Menschen und Körper unerreichbar und völlig unrealistisch sind. Das trägt dann dazu bei, dass wir ein negatives Selbstbild entwickeln und ungesunde Verhaltensweisen beim Thema Ernährung und Sport als normal erachten.

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5 Beispiele wie Diet-Culture beeinflusst, wie wir über unseren eigenen Körper denken

  1. Unrealistische Körperideale: Meist medial bekommen wir ein idealisiertes Bild davon gezeigt, wie der „perfekte“ Körper aussehen sollte. Durch Bildbearbeitung und Models mit extremen Körpermaßen wird dieses Ideal zusätzlich verstärkt.
  2. Förderung von Vergleichskultur: Durch die ständige Präsenz von perfektionierten Körperbildern im öffentlichen Raum, zum Beispiel auf Plakatwerbung, in den Medien und Social Media werden wir permanent mit Idealbildern konfrontiert – egal ob wir das wollen oder nicht – und dazu angeregt, uns mit diesem Ideal zu vergleichen. Das führt bei vielen dazu, dass wir uns unzulänglich, mangelhaft, einfach ungenügend fühlen. Dass das schlecht für unseren Selbstwert ist, liegt da nahe.
  3. Verbindung von Selbstwert mit äußerem Erscheinungsbild: Diet-Culture impliziert, dass unser Wert als Individuum von unserem Aussehen abhängt. Gerade Jugendliche und junge Erwachsene tendieren dazu dann auch ihr Gewicht und ihr Aussehen als wichtige Kriterien für ihren Wert als Person mit in die Waagschale zu werfen. Andere Qualitäten wie Kompetenzen, soziale Kontakte und intellektuelle Erfolge werden häufig als nebensächlich wahrgenommen.
  4. Förderung von Diäten und restriktiven Essverhalten: Die Idee, dass Gewichtsverlust oder eine Veränderung des Körpers entscheidend für individuelles Glück und Erfolg sind, wird uns durch Diet-Culture suggeriert. Oft sind restriktives Essverhalten, obsessives Kalorienzählen und ein gestörtes Verhältnis zum Essen Folgen davon. Auch die Entwicklung einer Essstörung kann durch die Auswirkungen von Diet-Culture beeinflusst sein.
  5. Stigmatisierung bestimmter Körpertypen: Menschen, die nicht dem idealisierten Körperbild entsprechen, insbesondere Menschen mit größeren Körpern und einer anderen Hautfarbe als Weiß werden hier in Deutschland diskriminiert. Das wiederum beeinflusst, die psychische Gesundheit jener marginalisierten Gruppen und führt dazu, dass auch unsere sozialen Kontakte von Diet-Culture beeinflusst sind.

Wie du mit der Diät-Kultur umgehen und dich und andere schützen kannst

Es wird dich jetzt nicht überraschen, dass unter anderem ein hoher Konsum von Insta-Content mit körperbezogenen Inhalten, den negativen Einfluss von Diät-Kultur noch verstärkt.

Was kann also jeder einzelne tun, um sich selbst zu schützen und auch andere? Den ersten Schritt hast du gemacht, indem du dich über die Auswirkungen von Diet-Culture informierst: Du bist dir jetzt also schon viel klarer darüber, was Diet-Culture mit deinem Leben, mit deinem Alltag, mit deinen Einstellungen und Haltungen zu tun hat. Ganz wichtig ist: du bist nicht schuld daran, wenn du aktuell beispielsweise dünne Körper schön findest, viel Sport machst, um vielleicht auch irgendwann so auszusehen wie Influencer XY, denn wir alle sind diesen Haltungen und Normen tagtäglich ausgesetzt. Aber ab jetzt entscheidest du mit, ob du selbst Diet-Culture mit verbreitest oder ob du dich bewusst gegen den Einfluss einer milliardenschweren Diät-Industrie einsetzt.

Du könntest zum Beispiel deinen Feed aussortieren und bewusst auch Accounts folgen, die sich für ein diverses Körperbild einsetzen. Du könntest mit deinen Freunden darüber sprechen, das Thema diskutieren und gemeinsam mit ihnen schauen, worüber ihr sprechen wollt, anstatt über Themen aus dem Bereich Diet-Culture. Du kannst dich ab heute bewusst mit deinen Idealen auseinandersetzen und vielleicht ein „gut genug“ finden. Du kannst Zeit, die du bisher dafür eingesetzt hast, dich mit deinem und anderen Körpern auseinanderzusetzen, dafür verwenden, ein neues, spannendes Thema für dich zu entdecken. Spoiler: Sei geduldig mit dir und erwarte nicht, dass du von heute auf morgen frei von Diet-Culture bist. Denn sie lauert wirklich überall. Aber du wirst mit der Zeit deinen ganz persönlichen Scanner entwickeln, der dich davor schützt auf die Ideen von Diät-Kultur hereinzufallen.

Solltest du dich von den Themen Körper, Essen, Selbstwert stark beeinflusst und belastet fühlen. Empfehlen wir dir, dich mit anderen, denen es auch so geht in unseren Online-Gruppen auszutauschen.

Text: Nora Stankewitz

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Schön, dass du da bist. Dieser Text könnte dich sehr berühren. Wenn du eine Essstörung, eine Depression oder Suizidgedanken hast, könnte dieser Text dir gerade nicht guttun. Bitte überlege dir, ob du ihn wirklich lesen möchtest. Hast du Redebedarf? Dann hilft dir vielleicht unser Angebot hier weiter.

Alles Liebe, Deine Incogito-Redaktion.

Quelle: Pexels - Alex Green

Der Tag, an dem ich magersüchtig wurde:

Das Gespräch mit Mama vor dem Spiegel

InCogito Autorin Olivia schildert, wie sie durch ein riesiges Missverständnis, Unsicherheit und unserem Ideal von schön und akzeptabel eine Magersucht entwickelte. Und wie sie heute mit ihrer Mutter umgeht.

 

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Ich war 12 Jahre alt und steckte mitten in meiner ziemlich frühen Pubertät, als dieses denkwürdige Gespräch mit meiner Mama vor dem Spiegel stattfand. Ich hasste meinen Körper so sehr dafür, dass meine Brüste viel früher als bei allen anderen anfingen zu wachsen, dass meine Achselhärchen sprießten, mich andere darauf ansprachen und ich einfach nichts dagegen tun konnte, was mein Körper da machte. Ich schrieb deshalb schon ein Jahr ständig in mein Tagebuch, wie unzufrieden ich mit meinem Busen und wie peinlich mir mein Körper war. Wie sehr ich mich selbst dafür hasste. Manchmal wünschte ich mir, meinen Busen einfach abschneiden zu können.

Die Ärzte sagten zu mir und meiner Mutter, dass ich meine Pubertät verlangsamen könnte, indem ich abnehmen würde. (Wenn ich das heute bei anderen Ärzten schildere, erhalte ich standardmäßig die Antwort: „Das kann nicht sein, dass das eine Ärztin gesagt hat.“ Doch, leider ja! – aber das ist ein anderes Thema.) Jedenfalls meinte meine Mutter es wirklich nur gut mit mir und achtete auf Ratschlag der Ärzt:innen darauf, dass ich nicht weiter zunehme, eher abnehme. Damit wurden Essen, Gewicht und Aussehen zu DEN Themen zwischen mir und meiner Mutter.

Schokoladenfondue zu essen ist mir peinlich

Tagebucheintrag von Dienstag, 30.08.

Direkt nach der Schule ist Kathi mit zu uns nach Hause gekommen. Das hat total viel Spaß gemacht. Wir wollen uns unbedingt mal wieder treffen. Da ich mit ihr nachmittags spontan Schokoladenfondue gemacht habe (es war Kathis Vorschlag), gab es heute Abend nur Salat. Natürlich waren Kathi und ich auch noch beim Leichtathletik-Training. Eben hat Mama mir auch noch eine Lektion übers Abnehmen erzählt.

Die Lektion übers Abnehmen

Mama hat mich gefragt, ob ich gesehen habe, wie meine Freundin Kathi sich im Spiegel angeschaut hat und ob ich weiß, worauf sie da geachtet hat. Was für eine Frage. Natürlich wusste ich, welche Antwort Mama jetzt hören wollte. Nämlich, dass Kathi sich ihren Po angeschaut hat, der zugegebenermaßen echt hübsch war. Töchter wissen, was Mütter hören wollen. Genauso wie Mütter zu wissen meinen, was gut für ihre Töchter ist. Auf Mamas Frage habe ich also mit „Ja“ geantwortet. Mama meinte dann mal wieder, dass sie mir das trotzdem nochmal ganz genau erklären muss: „Ja richtig, sie hat geschaut, dass ihr Po nicht zu dick ist.“ Ich habe mich von Mama für dumm gehalten gefühlt, als ob ich nicht wüsste, was Mama denken und sich von mir wünschen würde. Ich wusste es genau. Und weil ich genau wusste, dass ich ihren Erwartungen, so wie ich gerade war, eben nicht entsprach, fühlte ich mich gekränkt, nicht liebenswert und minderwertig. Ich wusste so genau, was sie sich für eine Tochter wünschte. Wie sie auszusehen und zu essen hatte. Das ich das nicht erfüllte, war mir schon lange klar. Zumindest kam es damals immer so bei mir an, obwohl meine Mutter es immer nur gut mit mir meinte. Heute sprechen meine Mutter und ich offen darüber. Es tut ihr wahnsinnig unbeschreiblich doll leid, ihr Körperideal so stark auf mich projiziert zu haben. Heute sehen wir die Entstehung meiner Anorexie als ein riesengroßes Missverständnis zwischen ihr und mir. Das Einzige, was Mama damals wollte war, dass ich aufgrund meines Aussehens nicht gemobbt werde oder selbst damit unzufrieden bin. Sie liebte mich immer so wie ich war. Sie wollte nur, dass es mir gut geht. Und sie nahm aufgrund ihres Schönheitsideals an, dass ich mich in meinem Körper nicht wohlfühlen könne und dass die Gefahr bestand, dass ich aufgrund meiner körperlichen Veränderungen gemobbt werden würde. Das wollte sie nicht für ihre geliebte Tochter. Bei mir kam aber an: „Du bist nicht gut so wie du bist.“ Deswegen habe ich mich während Kathi und ich zum Vorbereiten und Essen des Schokoladenfondues in der Küche waren, gegenüber Mama, die sich im Wohnzimmer nebenan aufhielt, sehr unwohl und peinlich beobachtet gefühlt. Auch wenn ich mir eigentlich bewusst war, dass ich ihre Wünsche an eine Tochter bezüglich Aussehen und Essen nicht erfüllte, tat es trotzdem immer dann ganz besonders sehr weh, wenn ich das so direkt zu spüren bekam wie in der folgenden Situation:

Tagebucheintrag von Mittwoch, 31.08.

Jetzt ist es ernst. Du musst abnehmen!

Es tut so weh, sich an diesen Tag, diese Situation zurückzuerinnern. Sie war für mich der definitive Auslöser meines ganzen Leidenswegs, der Tag, an dem ich magersüchtig wurde.

Mama, ihr Freund und mein Bruder und ich sitzen gemeinsam am Abendbrottisch in der Küche. Der Korb mit Brot steht auf dem Tisch. Dazu Käse, Aufschnitt und Gemüse. Ich habe vielleicht zwei Scheiben Brot gegessen. Ich habe noch Hunger. Und greife nach dem Brotkorb, um mir eine weitere Scheibe daraus zu nehmen. Ich erschrecke: „Nein, Olivia! Das reicht jetzt. Du hörst jetzt auf zu essen. Komm mal mit mir vor die Tür.“, fährt Mama dazwischen. Wir gehen zu zweit in den Flur. Mama zieht die Küchentür hinter sich zu. Im Flur erteilt sie mir nochmal eine Lektion übers Abnehmen: „Jetzt ist Stopp mit Essen. Zwei Scheiben Brot reichen. Jetzt musst du wirklich mal aufpassen, dass du nicht noch dicker wirst und noch weiter zunimmst. Jetzt ist mal Stopp. Du achtest jetzt mal mehr darauf, was und wie viel du isst. Es wird nicht mehr so viel genascht! Dieses ganze süße Zeug. Ich habe immer darauf geachtet, als ihr klein wart, dass ihr euch gesund ernährt. Du bist nicht so viel in Bewegung wie dein Bruder Torben. Deswegen verbraucht dein Körper nicht so viel wie seiner. Torben kann es ab, so viel zu essen, er verbrennt das ja auch und er ist ja auch noch im Wachstum. Männer verbrauchen sowieso mehr als Frauen. Ab heute wird abgenommen.

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Wir stehen im Treppenhaus gegenüber des Spiegels. Die anderen beiden sitzen währenddessen in der Küche und essen weiter Abendbrot oder lauschen. Ich weiß nicht, wie laut Mamas Stimme zu hören war. Mama hat die Angewohnheit, wenn ihr etwas wichtig ist, in einen nicht enden wollenden Redeschwall auszubrechen.

So ist es auch dieses Mal.

Mir stehen die Tränen in den Augen.

Ich lasse es über mich ergehen. 

Natürlich nehme ich mir das, was sie gesagt hat, sehr zu Herzen. Es ist immerhin meine Mutter, die möchte, dass ich abnehme und sie hat immer recht aus Sicht meines kindlichen Ichs. Wir gehen zurück in die Küche und setzen uns wieder zu den Männern an den gedeckten Abendbrottisch. Ich esse nichts mehr. Und warte einfach nur schweigend, bis wir endlich den Tisch abdecken und ich auf mein Zimmer verschwinden kann, um endlich zu weinen. Denn ich wusste: Gegenüber meinen Eltern muss ich stark sein.

Als ich endlich auf meinem Zimmer allein war, fing ich an zu heulen und schnappte mir mein Tagebuch und schrieb darin einen Abnehmplan für die nächste Woche auf. Ich sah zu, dass ich jeden Tag Bewegung einbaute und bereitete zwei Spalten für mein Gewicht vor: eine für morgens und eine für abends.

Ich begann, mich täglich zu wiegen. Vorher hatte ich das fast nie gemacht. Eigentlich nur beim Arzt und ab und zu auch schonmal heimlich zwischendurch mittags, bevor Mama von ihrer Arbeit nach Hause kam. Ich stürzte mich völlig unwissend darüber, was ich tat, Hals über Kopf in die Magersucht und wendete so all die angestaute Wut in mir im Kampf gegen mich selbst auf.

Ich richtete alle Wut gegen mich selbst

Schlussendlich war ich einfach wütend darauf, dass ich überhaupt ich bin. Dass ich in meinem „Scheiß-Körper“ lebe. Ich richtete all meine Wut gegen mich selbst. Vielleicht hatte ich gerade begonnen, mich mit meinem neuen Körper nach der Pubertät anzufreunden, aber meine Familie gestaltete mir das quasi als ein unmögliches Vorhaben.

MEIN Körper wurde zu einem gemeinsamen Familienthema. Als ob es nichts Spannenderes gäbe…Das Thema wurde immer wieder aufgewühlt. Ich wusste nicht, dass andere Familien nicht so sein könnten. Ich dachte, jede Familie ist so wie meine und das sei normal. Trotzdem wollte ich ENDLICH Aufmerksamkeit haben. Ich sehnte mich danach, ernst genommen zu werden mit meinen Wünschen und meinen Bedürfnissen. Ich wollte endlich, dass ich das machen und essen darf, was ich möchte und so viel wie ich möchte. Ich wollte, dass es meiner Seele jetzt sofort besser geht. Mein Körper war mir dabei egal. Ich habe erkannt, dass ich etwas an mir ändern muss, damit die Situation besser wird und dass ich die anderen nicht ändern kann. Mit der Magersucht ging es meiner Seele in dieser Situation besser.

Die Magersucht war für mich der einzige Ausweg daraus gewesen, es mit meiner Familie weiterhin auszuhalten, endlich keine Kritik mehr für mein Aussehen oder Essverhalten zu bekommen. Ich wusste, dass ich nichts an der Situation verändern konnte außer mein Verhalten. Jetzt war mir klar: wollte ich weiter um Anerkennung von meiner Familie kämpfen, muss ich abnehmen. Der anfängliche Wunsch abzunehmen, wurde schleichend und rasch zugleich zum Ausdruck meines Bedürfnisses nach Fürsorge und Aufmerksamkeit durch meine Eltern.

Meine Tagebucheinträge drehten sich von Tag zu Tag mehr um mein Gewicht:

Donnerstag, 08.09.

Heute morgen habe ich 300 Gramm weniger gewogen als die letzten beiden Tage. Gut, oder??? 

 

Freitag, 09.09.

Heute morgen habe ich wieder 300 Gramm weniger gewogen. Juhu. XX Kg geknackt.

 

Samstag, 17.09.

Minus 400 Gramm.

 

Mittwoch, 26.10.

Neuer Rekord! XX kg!

 

Mittwoch, 09.11.

Ich glaube, ich habe zu viel gegessen.

 

Freitag, 11.11.

Waage ist wieder heile und gleich neuer Rekord! Minus 1,7 kg!

 

Donnerstag, 01.12.

Minus 2,8 kg.

 

Freitag, 02.12.

Juhu! XX kg geknackt!!!

… meine „neuen Rekorde“ konnte ich schon bald nicht mehr bremsen.

Als ich das heute, 13 Jahre später, einer Freundin erzählte, sagte sie zu mir: „Es scheint fast so, als hätte die Tochter deiner Eltern nur magersüchtig werden können“. Damit will ich Magersucht nicht verherrlichen, sondern aufzeigen, wie eng verstrickt Essstörungen mit dem Familiensystem sein können.

Was ich Eltern gerne sagen möchte

Ich würde niemals wollen, dass meine Mutter sich schuldig fühlt, weil sie mit zur Entstehung meiner Essstörung beigetragen hat, indem sie ihr Körperbild bzw. das, was ihr durch die Gesellschaft beigebracht wurde, auf mich projiziert hat. Sie hat sich so oft dafür bei mir entschuldigt, mich mit ihrem Schönheitsideal so stark beeinflusst zu haben. Sie hat mir heute versprochen, dass sie mich immer lieben wird: egal, ob dick oder dünn, alt oder jung, klein oder groß, erfolgreich oder nicht erfolgreich, egal, was ich esse und was ich nicht esse. Es fällt mir manchmal zwar immer noch sehr schwer, ihrem Versprechen wirklich auch zu glauben, weil es meine ganze Kindheit und Jugend lang anders bei mir ankam. Doch es ist das Einzige, was meiner Mutter heute bleibt. Sie kann das Vergangene nicht ändern. Sie kann nur daraus lernen, ihr eigenes Verhalten reflektieren und ihr Verhalten heute ändern. Und dass sie das macht, dass sie sich darauf einlässt und gleichzeitig um sich selbst kümmert, macht sie aus meiner Sicht zu einer unglaublich starken Person. Es gehört einiges dazu, sich um sich selbst zu kümmern, sich eigene Fehler einzugestehen, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich immer wieder aktiv dafür einzusetzen, dieses Verhalten zu verändern.

Das ist wahrer Mut und wahre Stärke! Und das verbindet uns heute.

Wenn du ein Elternteil bist und dich um dein Kind sorgst in Bezug auf Essverhalten, Gewicht, Körperbild, dann bitten wir dich, dich möglichst bald dazu beraten zu lassen. Eine gute Anlaufstelle für Elternberatung bei Essstörungen ist zum Beispiel ANAD e.V

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Leonie

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Quelle: Pexels - SHVETS production

You can’t catch me now: Mein Umgang mit der Waage.

Melanie

Menschen, die von Essstörungen betroffen sind oder es einmal waren, machen sich im Prozess der Heilung auf den Weg die Verbindung zum eigenen Körper wieder herzustellen, das eigene Bauchgefühl wieder zu finden und zu lernen darauf wieder voll Vertrauen zu hören. Auf diesem Weg liegen kleinere und größere Steine, die es geduldig aus dem Weg zu räumen gilt. Einer dieser Steine ist die Konfrontation und der Umgang mit der Waage. Warum ich mir erlaubt habe, wieder zu lernen mir selbst und meinem Körpergefühl zu vertrauen, welche Rolle dabei die Waage spielt und was mir in diesem anhaltenden Prozess hilft, möchte ich hier teilen.

 

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Eine Körperwaage: sehr viel mehr als ein technisches Gerät

Für mich, wie auch für so viele andere Betroffene, ist die Waage leider nicht nur ein technisches Gerät, sondern aufgeladen mit verschiedensten Gefühlen, Gedanken und geknüpft an zwanghaftes Verhalten.

Ganz weit oben ist da Scham. In meiner ersten richtigen Therapie stellte mich die Therapeutin nach jeder Session auf die Waage. Ich erinnere mich an Momente peinlicher Stille, in denen ich meine Schuhe nicht ausgezogen bekam, an den Schnürsenkel panisch zerrte, (was die Sache natürlich nur zusätzlich verschlimmerte) und schon Hitze in meinen Kopf schießen spürte. Mit einem Mal waren mir meine bunten Socken unendlich peinlich und tausend Gedanken ratterten gleichzeitig durch meinen Kopf: Wie wird das kommentiert, wenn ich zugenommen habe? Wie wird das kommentiert, wenn ich abgenommen habe? Welche Konsequenzen wird das Ergebnis haben? Heute weiß ich, dass das in ein therapeutisches Setting zu verlegen eine gesunde und wichtige Entscheidung war. Es war durchaus eine Erleichterung mit dieser Herausforderung nicht alleine sein zu müssen. Trotzdem war das Wiegen vor externen Personen, egal ob besorgte Familienmitglieder, netten Ärzthelfer:innen oder professionellen Therapeut:innen, für mich beschämend. Nicht nur, weil die sich verändernde Zahl verschiedenste Gefühle und Gedanken in mir auslöste, ich schämte mich dafür, mich überhaupt in so einer Situation zu befinden. Bei etwas scheinbar so Banalem, Unterstützung zu benötigen.

Neben dem Gefühl der Scham löste das Wiegen auch Gefühle der Neugier und eine Art von kribbelndem Hochgefühl in mir aus. Hinter der vermeintlichen Neugier befand sich allerdings ein zwanghaftes Verhalten, was mich immer wieder auf die Waage zog. Essstörungen sind psychosomatische Erkrankungen mit Suchtcharakter und allein ein Blick auf die Waage als bloßes technisches Gerät, welches so unscheinbar im Bad, Schlafzimmer, bei Freud:innen, manchmal sogar in der Öffentlichkeit (!) oder sonst wo steht, kann Druck auslösen. Ich traute meiner Körperwahrnehmung überhaupt nicht, daher regelte unter anderem die Zahl auf der Waage das für mich. Habe ich mich längere Zeit nicht gewogen, fühlte ich mich irgendwie „verloren“ und unsicher. Dieses Nichtwissen nutzte die Stimme der Essstörung um mir ein unangenehmes Körpergefühl einzureden. Paradoxerweise erlebte ich dasselbe Gefühl auch dann, wenn ich über mein Gewicht Bescheid wusste. Egal wie das Ergebnis ausfiel, es blieb verunsichernd. Das beschriebene „Nach-dem-Wiegen-und-es-ist-weniger“ – Hochgefühl ist natürlich absolut trügerisch, kurzweilig und die Quelle dafür nicht das gesunde Selbst. An dieser Stelle ganz deutlich: die Essstörung ist niemals zufrieden und sie wird es auch niemals sein. Sie ist eine Erkrankung, welche den Körper und die Seele auszehrt.

Das Hochgefühl, wenn überhaupt, ist von nur sehr, sehr kurzer Dauer. Auch eine Gewichtsabnahme nutzt die Essstörung aus, um erneuten Stress und neuen Druck auszulösen. Kurzum: keine Chance sie zufriedenzustellen. Es ist ein ständiger Teufelskreislauf, ein Sog, gekoppelt an hartnäckige, fiese, selbstzerstörerische Glaubenssätze, und es fordert enorm viel Kraft und Mut da auszusteigen. Sich dem entgegenzustellen.

Last but not least war das Wiegen natürlich von einer konfusen, aber deswegen nicht weniger starken Angst begleitet, in der alle zuvor angeführten Gefühle irgendwie zusammenkamen.

Die Waage wurde so im Laufe der Zeit zu einer irrationalen Bedrohung, obwohl sie doch, im therapeutisch-ärztlichen Setting, den Heilungsprozess absichern soll. Auch zur langfristigen Stabilisierung kann sie durchaus konstruktiv eingesetzt werden. Und dann? Auch mit einem gesunden Gewicht, ist das noch keine Garantie dafür, dass der Kopf sich von einer übermäßigen Beschäftigung mit der Waage dauerhaft lösen kann. Die US-Amerikanische Psychotherapeutin Susan Schulherr schreibt in „Ess-Störungen für Dummies. Den Weg zurück ins Leben schaffen“ (Weinheim 2009): „Einer der wichtigsten Punkte auf dem Weg der Genesung ist es, andere Dinge an sich wertschätzen zu lernen als das Gewicht“.

Weniger „Gewicht“ aufs Gewicht

Ich habe für mich festgelegt, dass ich meinen Wert und mein WohlFÜHLEN nicht an nichtssagende Zahlen knüpfen möchte. Ich selbst möchte meine eigene Quelle sein aus der ich Sicherheit und Vertrauen in jedem Augenblick schöpfen kann. Ich möchte Veränderungen in mein Leben lassen, meiner Persönlichkeit und meinen Werten Raum geben. Ich möchte nicht den Idealen und Forderungen einer diätverherrlichenden Gesellschaft nachjagen, die ich sowieso niemals erfüllen kann und auch nicht erfüllen möchte.

Ich möchte mich in und mit meinem Körper wohlFÜHLEN.

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Drei konkrete Tipps im Umgang mit der Waage

  1. Konstruktive statt destruktiver Gedankenbilder
    Eine Möglichkeit sehe ich in der Kraft der Gedanken. Lange Zeit habe ich mir erfolgreich eingeredet, dass Gewichtsveränderungen etwas Schlechtes sind, dass mein Körper sich nicht verändern darf und dass ich nur über meinen sichtbar kranken Körper meine Bedürfnisse kommunizieren kann. Also kann ich mir das auch genauso gut erfolgreich wieder ausreden! Ein alternativer Zugang zu einem gesunden Körperempfinden, der es nicht nötig macht ständig auf die Waage zu steigen, sind Gedankenbilder. In ihnen kann ich mich an jeden beliebigen Ort stellen. Einzige Bedingung: ich muss mich dort wohl und sicher fühlen. Dabei stelle ich mir jedes Detail ganz genau vor. Was ich dort sehe, höre und rieche. Welche Kleidung ich trage, wie meine Haare aussehen, welche Körperhaltung ich einnehme. Ein Gedankenbild von mir ist beispielsweise eine Kulisse am Meer. Dort spüre ich den Wind auf meiner Haut und in meinen Haaren. Ich stelle mir vor was ich sehe und ich nehme mich selbst wahr. Diese Bilder in meinem Kopf gestalte ich bewusst so, dass ich mich darin frei und wohl fühle. An Tagen, an denen ein unangenehmes Körpergefühl übermächtig wird, hole ich mir die Gedankenbilder hervor. Sie sind dann eine konstruktive Alternative zu destruktivem Verhalten. Die von mir gestalteten Gedankenbilder sind, ebenso wie die Bilder, welche die Essstörung im Kopf ständig produziert, fiktiv, aber sie haben ganz entgegengesetzte Effekte. Mit der Zeit und mit etwas Übung, werden meine eigenen Gedankenbilder kräftiger und es fällt mir leichter mich diesen zuzuwenden. Wichtig ist sich etwas Zeit zunehmen, um diese Gedankenbilder zu kreieren. Ich habe sie mir zusätzlich aufgeschrieben, was ihnen nochmal mehr Intensität und Tiefe verleiht. Der Kreativität sind da aber natürlich keine Grenzen gesetzt.
  2. Gemeinsam „Grenzen“ überwinden
    Eine weitere Möglichkeit sehe ich darin gemeinsam „Grenzen“ zu überwinden. Mit „Grenzen“ meine ich in diesem Fall jene Gewichtsgrenzen, welche die Erkrankung „festlegt“. Das reicht von „Bevor ich nicht XY Gewicht erreicht habe, bin ich nicht krank genug“ bis zu „Okay, ich werde zunehmen, aber nur bis ich XY Gewicht erreicht habe“. Die Heilung einer Essstörung bedeutet aber viele, viele „Grenzen“ (oder „Hürden“, „Regeln“ etc.) ständig zu überwinden. Das erfordert viel Mut und ist mit viel Angst verbunden. Gerade dann, wenn krankhafte Grenzen (endlich!) gesprengt werden, tut es gut nicht alleine zu sein und aufgefangen zu werden. Alle Gedanken, Gefühle und Tränen sind okay, nur aus Angst vor dem Ungewissen sich wieder zurückzuziehen wäre fatal. Gerade dann, wenn „Neuland“ (Waage aus dem Haushalt verbannen, gesundes Gewicht erreichen etc.) betreten wird, wo so viel Schönes wartet (!), sind helfende Hände von lieben und vertrauten Menschen sehr wertvoll. Sich Unterstützung und Hilfe zu holen ist eine große Ressource. Es ist eine enorme Stärke, diese zu aktivieren.
  3. Die Lücke füllen
    Als mir bewusst geworden ist, dass mir dieses temporäre Hochgefühl des Wiegens (was immer es mir auch gab (Pseudokontrolle, Zuwendung, Aufmerksamkeit)), fehlt, wurde mir klar, dass ich etwas anderes finden muss, um die entstandene Lücke zu füllen. Zunächst muss ich mir selbst aber die Frage stellen, wofür die Waage in meinem Leben steht und welches Defizit sie auszugleichen versucht. So kann dann eine Alternative gefunden werden, die das vermeintliche, trügerische und kurzweilige Hochgefühl durch ein anhaltendes, starkes und echtes Gefühl austauschen kann. Ich muss nicht wissen wie viel ich wiege, um glücklich zu sein.

Der Waage ihre Macht nehmen

Jeder Krankheitsverlauf ist unterschiedlich und so gibt es auch nicht „den einen“ Umgang mit der Waage. Es soll gar nicht ausgeschlossen werden, dass ein gesunder Umgang mit ihr unmöglich ist. Manchmal kann aber auch das ärztliche Wiegen die Erkrankung zusätzlich anstacheln. Besonders in Kliniken in Deutschland wird viel Aufmerksamkeit auf Wiegen und Gewichtsregulation gelegt. Das ist bis zu einem gewissen Grad unabkömmlich, denn Körper, die sich auf Dauer im Defizit befinden, können fatale gesundheitliche Folgen bis hin zum Tod nach sich ziehen. Wird diese starke Aufmerksamkeit auf Waage und Gewicht von der Erkrankung ausgenutzt, sollte etwas verändert werden.

Durch das ehrliche Beantworten der folgenden Fragen wird schnell klar, ob es ein gesunder oder doch eher destruktiver Umgang ist.

Mit welcher Absicht steige ich jetzt auf die Waage?
Welche Gedanken und Gefühle löst die Zahl auf der Waage in mir aus?
Wie beeinflusst das Ergebnis meine Stimmung und mein Verhalten unmittelbar jetzt?
Wie bewerte ich Gewichtsschwankungen? Kann ich diese gleichermaßen annehmen?

Einmal kurz auf die Waage steigen mag verlockend sein, doch das ist nur die altbekannte Spitze des Eisbergs. Die Waage sollte nicht die Macht haben darüber zu bestimmen, welchen Wert wir haben, wie unsere Persönlichkeit ist und wie wir uns in unseren Körpern fühlen dürfen. Diese Macht gebe ich ihr über mich nicht (mehr).

You can’t catch me now!

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Anina

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Quelle: Pexels - Karolina Grabowska

In der Klemme:

wie ich versuche zwischen Leistungsdruck und Bestätigungsbedürfnis meinen Weg zu finden

Simon

Ich habe bei allem, was ich getan habe immer einen hohen Leistungsdruck gespürt. Und auch wenn ich gerne Gegenteiliges behauptet habe, war es mir zumindest unterbewusst doch immer sehr wichtig, was andere über mich denken. Dadurch kam ich in die Situation, nie das Gefühl zu haben, dass das, was ich tue richtig oder wertgeschätzt würde. Wie ich heute damit umgehe, erfahrt ihr hier.

 

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Der Stress-Klassiker: Erstellen der Abizeitung

Ich war in der Oberstufe unseres recht kleinen Gymnasiums schon länger an verschiedenen Hebeln aktiv. Und so wurde ich zum Verantwortlichen für die Erstellung der Abizeitung gewählt. Auch, wenn ich diese Aufgabe freiwillig und sehr gerne übernommen habe, fühlte ich den Druck der ganzen Stufe auf mir lasten. Schließlich sollte dieses Erinnerungsstück so ästhetisch, modern und angemessen kitschig wie möglich sein, dass sie die etwas mehr als 10 Euro pro Exemplar wert wäre und alle zufrieden wären.
Unabhängig davon, ob es tatsächlich so war oder nur ich das Gefühl hatte: der Erwartungsdruck kam mir immens vor, ich fühlte mich verantwortlich für jedweden möglich Fehler und ich hatte große Angst am Ende bloßgestellt zu werden und alle zu enttäuschen.

Nachdem die Abizeitung geschafft war, blieb mir der innere Druck jedoch erhalten. Denn ich war wieder enttäuscht von mir selbst: zum einen war das Feedback zwar durchweg positiv, aber beschränkte es sich auf wenige Menschen aus meinem nahen Umfeld. Leider kam auch ihr Lob nicht wirklich bei mir an, denn ich wollte keinesfalls selbstgerecht wirken. Ich konnte mich also selbst in dem Moment, als ich das positive Feedback bekam, auf das ich so lange hingearbeitet habe, nicht zurücklehnen und freuen, sondern hakte es viel mehr einfach wie eine To Do-Liste ab. Es fühlte sich an, als hätte ich nur das Mindeste geschafft, was ich erreichen musste.

Später merkte auch noch ein Lehrer an, er fände, dass ihm und seinen Kolleg:innen zu wenig Platz zugekommen sei und mit Scham musste ich feststellen, dass die Kritik gerechtfertigt war und wir noch nicht einmal Liste mit Lehrern unserer Fächer in Oberstufe hatten. Diese eine negative unter vielen positiven Kritiken blieb noch lange an mir hängen und kommt jedes Mal wieder auf, wenn ich die Abizeitung in die Hand nehme. Obwohl ich mit dem Endresultat rational mehr als zufrieden war, konnte ich emotional nie wirklich meinen Frieden damit finden.

Der Leistungsdruck kam in Wellen

Es fühlte sich für mich eine ganze Zeit lang in meinem Leben so an, als würde ich mich in einer Klemmzwänge befinden mit Leistungsdruck auf der einen und dem Bedürfnis nach Bestätigung dafür auf der anderen Seite. Die Abizeitung ist dafür nur ein Beispiel, die emotionale Last war mehr eine immer wieder hochkommende Welle, als die Ausnahme.

Wer ist schuld an meiner Gefühlswelt?

Tatsächlich muss ich da wohl den Finger zu allererst auf mich selbst richten. Wenn auch nicht nur. Da ich es rational ja verstanden habe, wie unnötig meine Zweifel eigentlich sind, liegt es eigentlich vor allem an mir, dass nun auch so in mein Handeln zu übersetzen, dass es mir auf lange Sicht besser geht. Aber auch die spätkapitalistische Gesellschaft und was sie mit sich bringt, ist nicht ganz unschuldig. Sowohl in der Schule, als auch außerhalb davon wird uns jungen Menschen beigebracht, ständig in Konkurrenz zu denken. Das spiegelt sich dann darin wider, dass ich als ein sehr strebsamer Mensch mich auch mit 90 oder sogar 100 Prozent Leistung nicht zufriedengeben will, sondern mir selbst immer mindestens 110 Prozent abverlange. Was klingt wie der Leitspruch des „How to become Alpha“-Trainings eines Erfolgsgurus, ist für mich zum Dauerdruck im Alltag und Verhinderer von Zufriedenheit geworden.

DU HAST Redebedarf?

Unsere ehrenamtliche Peer-Beratung ist für dich da. Hier kannst du jederzeit in WhatsApp jemandem schreiben.

Wie kommt man aus dieser Misere heraus?

Der erste Schritt lautet natürlich immer, sich der Situation und den eigenen Gefühlen bewusst werden. Danach wird es konkret und damit ungemein schwieriger.

Die Bestätigungssuche abzuschalten ist wohl unmöglich und evolutionär auch nicht clever. Sorgt die Bestätigung von außen und Schamgefühle nach innen ja auch dafür, dass wir als soziale Wesen den Anschluss an unsere Gruppe erhalten können.

Vielleicht ist es machbar, auch schon die Erhaltung und den Ausbau von sozialen Beziehungen als Bestätigung des aktuellen Handelns zu sehen. Und vermeintlich kleine Dinge, wie das positive Empfinden beim Beisammensein mit anderen, schon als Bestätigung wahrzunehmen.

Der Leistungsdruck lässt sich vielleicht dadurch verringern, indem man versucht, andere Menschen und deren Leistungen und vermeintlichen Erwartungen erstmal auszublenden. Sich auf sich und das, was für einen selbst am besten ist, zu fokussieren. Wenn man das schafft, ist sicher schon viel gewonnen, da man dann nicht darauf wartet, dass alle an dem, was man tut etwas auszusetzen haben.

Der Wunsch nach Anerkennung hat seine Berechtigung

Ich muss zugeben, dass ich in diesem Idealzustand bei Weitem noch nicht angekommen bin. Gleichzeitig finde ich, dass das wahrscheinlich auch okay so ist. Denn der Mechanismus, dass man sich besser fühlt, wenn man von anderen Bestätigung bekommt, ist evolutionär bedingt und schafft uns Zugehörigkeit ohne die wir nicht überleben könnten. Es sollte eben nur nicht darin ausarten, dass das Bedürfnis nach Bestätigung von außen so immens wird, dass man eigene Vorstellungen davon, was gut war und was nicht, überhaupt nicht mehr wahrnehmen und werten kann.

Abstand als Heilmittel

Für mich ganz persönlich hat sich herausgestellt, dass ich dem Druck durch mein Freiwilligenjahr im Ausland ein Stück weit entweichen konnte. Er ist immer noch da und sucht sich teilweise noch seine Bahnen in meinen Kopf, aber der Wechsel in eine unbekannte Umgebung – sozial, wie geographisch und kulturell – hat mir geholfen, mich mit dem erworbenen Wissen aus der Selbstreflektion ein Stück weit neu zu erfinden.

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Ilona

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